Von rosa Penissen und homophoben Feuilletonisten

Ein Kessel Buntes in den Feuilletons: Die "Welt" erzählt von einem Besuch in einem "Pornical", während die Taz sich über die die schwulenfeindlichen Äußerungen von Matthias Matussek echauffiert.
"Wir sind unglaublich primitiv."
Diese Erkenntnis gibt der Schauspieler Kai Wiesinger in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG zum Besten, als Quintessenz seiner Erfahrung, in einem TV-Dokudrama den ehemaligen, unter scheußlichen Begleitumständen zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff verkörpert zu haben. Dieses traurige Lebensgefühl zu widerlegen, dazu ist das Feuilleton da, und das müht sich auch heute nach Kräften – mit unterschiedlichem Erfolg. In der WELT beispielsweise erzählt der bislang nicht als übermäßig sensibel bekannte Boxer Mike Tyson vom Gefühl, auf der Bühne "meine Seele zu entblößen", und vom Mut, den es ihn gekostet habe, "mich auf meine Frau und unsere Kinder einzulassen".
Doch schon eine Seite weiter berichtet Stefan Keim unter dem Titel Das Loch gehört geflickt ausführlich von seinem Besuch im sogenannten Pornical "49 1/2 Shades" im Düsseldorfer Capitol-Theater, einer sogenannten Parodie auf den sogenannten Erotik-Bestseller "50 Shades of Grey".
"Optischer Hohepunkt sind tanzende rosa Penisse mit niedlichen Strubbelhärchen an den Hoden. Süß."
Kunstfälscher und Genderbetrachtungen
Schaudernd blättern wir die FAZ auf, und was finden wir da? Rose-Maria Gropp setzt den "Dokumentarfilm" von Arne Birkenstock über das Kunstfälscher-Ehepaar Beltracchi in vielsagende Gänsefüßchen und schmettert wutentbrannt:
"Für den so entstandenen Promotion-Clip sollte sich Wolfgang Beltracchi bedanken, und beinah wäre seine Rechnung aufgegangen. Wenn der Film nicht – hatten wir das schon erwähnt? – so furchtbar langweilig wäre."
Kerstin Holm deutet die Revolution in der Ukraine, inspiriert durch die Wiederkehr Julia Timoschenkos, unter gender-politischen Gesichtspunkten und macht dabei unter anderem folgende staunenswerte Beobachtung:
"Was die Ukrainerinnen vor den Russinnen auszeichnet, ist das Blühende, ihre naturhafte Vitalität."
Und Jörg Heiser lässt uns an seinem Besuch einer Essener Ausstellung über Karl Lagerfeld teilhaben, offenbar eine ausgesprochen unangenehme Erfahrung: Am Ende fühlt sich der Rezensent "ausgespuckt vom Loop des Lagerfeld-Systems" und ekelt sich vor der "exponentiell gesteigerten Selbstzeige-Sucht"des Modeschöpfers.
In der TAZ wiederum brechen vor Abscheu über den Feuilleton-Kollegen Matthias Matussek und dessen Ansichten über Homosexualität und Erbgesundheit alle Dämme, sodass am Ende Heiko Wernig sich zu dem Vorschlag versteigt:
"Womöglich müsste sich nur ein Geschlechtsgenosse erbarmen und den Mann mal ordentlich rannehmen, so ganz im Sinne der Natur."
Freude über Romane
Erlösung findet der solchermaßen bedrängte Zeitungsleser bei der Literaturkritik, und zwar vor allem in der SÜDDEUTSCHEN und der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. In der SZ feiert Joseph Hanimann den Erste-Weltkrieg-Roman "14" von Jean Echenoz:
"Statt als das schiere Entsetzen erscheint der Krieg hier auf unheimliche Weise menschlich", und das sei "nur möglich dank des distanzierten, unterkühlt heiteren und zugleich elegant melancholischen Tons"des französischen Schriftstellers.
"Die Jahrhundertdistanz gibt uns vielleicht erstmals die nötige Reife, so unvoreingenommen und zugleich bange noch einmal mit ins Verderben zu marschieren."
In der NZZ findet Roman Bucheli gegenüber Martin Mosebachs neuem Roman "Das Blutbuchenfest" die richtige Balance zwischen Spott und Respekt:
"Da denkt man sich also während vierhundert Seiten: Warum erzählt er uns das alles?"
Doch dann: "Eine Eruption". Auf den letzten 40 Seiten inszeniere Mosebach grandios die "Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, das zum Himmel schreiende Gefälle zwischen entfesselter Frankfurter Dekadenz und bosnischer Tragödie". Wobei am Ende die Abneigung überwiegt:
"Es hätte ein großes Buch werden können. Nun liest man den langen Anlauf zu einem kurzen Fanal."
Wiederum in der NZZ zeigt Karl-Markus Gauss, was schmucklose Prosa in der Literaturkritik vermag, und mit diesem unserem Lieblingssatz dieses Feuilleton-Tages wollen wir für heute schließen:
"Der allseits bejubelte neue Roman von Murakami ist staunenswert schlecht geschrieben."