Aus den Feuilletons

Vom Umgang mit Berührung, mit alten Körpern und alten Köpfen

Zwei Hände, eine von einem Schimpansen, eine von einem Menschen
Einen Therapievorschlag für die Behandlung von Kontaktarmut hat die taz: Kuschelparty © Caroline Seidel / picture alliance / dpa
Von Arno Orzessek · 29.04.2016
Kuscheln, Altern und Verabschieden - die Wochenendlektüre der Feuilletons ist ein Potpourri der Tätigkeiten, mit denen jeder etwas anderes verbindet: In der "Tageszeitung" zum Beispiel wird auf der Party gruppengekuschelt - was wir mit gemischten Gefühlen lesen.
Die TAGESZEITUNG kümmert sich auf ganzen vier Seiten um "Die unterkuschelte Gesellschaft."
Laut Margarete Moulin verweigern sich hierzulande Millionen Menschen der Berührung durch andere – zumeist, weil bei ihnen die Produktion des Hormons Oxytocin gestört ist.
Oxytocin genießt indessen den glänzenden Ruf, uns Menschen tendenziell vertrauensvoller, sensibler und konstruktiver zu machen, weshalb die Ermangelung des Hormons keine läppische Sache ist.
Wir überlassen Ihnen den Artikel zur selbständigen Lektüre, liebe Hörer…

Nach der Zeitungslektüre die Kuschelparty

Weil wir jetzt nämlich auf eine dieser Kuschelpartys wollen, auf denen sich landauf landab wildfremde Leute zwecks Hautkontakt-Manko-Ausgleichs auf die Pelle rücken.
Paul Wrusch heißt der TAZ-Autor, der von seinem "Selbstversuch" erzählt.
"Die [eigentliche] Kuschelzeit beginnt, auf die alle hier warten. Mir graut vor ihr. Erneut: Fluchtgedanken. Wir stellen uns in einen Kreis, legen Augenbinden an, fassen einander bei den Händen. [Die Kurs-Leiterin] Smita sorgt dafür, dass […] wir uns in der Mitte treffen. Ich spüre Körper, vor, neben, hinter mir. […] Hände, die mich am Hintern berühren, die über die Brust streicheln. Es wird eng, es riecht nach Schweiß. Die ersten gleiten zu Boden. Ich schiebe die Augenbinde hoch. Kuschelknäuel. Ich klammere mich an Doris."
Nun, diese Doris erweist sich für den TAZ-Autor Wrusch während anderthalb Stunden als ein höchst angenehmer Kuschel- und Knuddelkontakt, er lässt sie gar nicht mehr los…
Aber so nett das klingt – und auch gar nicht mal so unerotisch –, würden wir persönlich lieber ohne Oxytocin durchs Leben als zur Kuschelparty gehen. -
Ob unterkuschelt oder nicht – unsere Gesellschaft altert.
Und was das bedeutet, erhellt die Berliner Ausstellung "Europas neue Alte".

Nach der Kuschelparty in der taz wird in der BERLINER gealtert

In der BERLINER ZEITUNG berichtet Susanne Lenz, die Ausstellungsmacher seien während ihrer Gespräche mit alten Menschen auf das "Zufriedenheitsparadox" gestoßen:
"Es besagt [so Lenz], dass objektive Umstände nur einen geringen Einfluss auf das empfundene Wohlbefinden im Alter haben."
In der Ausstellung wird das am Beispiel von Anton illustriert.
Der Mann ist neunzig Jahre alt, gebrechlich, verwitwet und lebt im Heim, hat aber für die letzten drei Lebensjahrzehnte volle 100 Prozent auf der Zufriedenheitsskala angekreuzt, während er für die ersten sechs bestenfalls 80 Prozent vergab.
Diejenigen unter uns, die bis neunzig noch ein gewisses Stück zu gehen haben, dürften gern hören, dass es so etwas gibt: total alt, total zufrieden.
Gerade mal seinen sechzigsten Geburtstag feiert der "Dogville"-, "Melancholia"- und "Nymph()maniac"-Regisseur Lars von Trier, den die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG als "dänischen Schmutz-, Schund-, Kunst- und Wackelkamerafilmfacharbeiter" vorstellt.
"Wo ihm mal Nachdenklichkeit ins Bild läuft, wirft er sofort tapfer Musik nach ihr, wo sich konventionell-realistische Gesellschaftskritik hervorwagen will, ersäuft er sie in scheeläugig fotografiertem Angeberlicht. Kompromisse mit dem Feind, dem blöden Weltabbildungskrampf […] , werden nach wie vor nicht gemacht, Gefangene auch nicht, und Ruhepausen sind sowieso verboten. Bevor Lars von Trier sich an einen seiner Einfälle gewöhnen kann […], kippt er den Ansatz auch schon wieder und versucht sich am Gegenteil",
gratuliert der FAZ-Autor Dietmar Dath dem Regisseur Lars von Trier.

"Hello!" an "Good bye!"

"Hello Lenin!", heißt es derweil in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und nicht anders, nur ohne Ausrufezeichen, auch in der Tageszeitung DIE WELT: "Hello, Lenin".
Offenbar spielen beide Blätter auf den Film "Good Bye, Lenin!" an.
Es ist nämlich so:
Die gewaltige Lenin-Statue, die einst am Leninplatz in Berlin-Friedrichshain stand, das heißt: der Kopf dieser Statue hat jetzt wieder das Licht der Öffentlichkeit erblickt.
Und zwar in der Dauerausstellung "Enthüllt" in der Zitadelle Spandau, in der Berlins entsorgte politische Denkmäler quasi als Untote präsentiert werden.
Wenn Sie Näheres interessiert, liebe Hörer, lesen Sie doch bitte in der SZ "Hello, Lenin!" oder in der WELT "Hello, Lenin".
Wir aber sagen in der Tat: Good bye!
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