Aus den Feuilletons

"Vom Patriarchat schon tausendmal ausgekotzt"

MeToo-Demonstration gegen sexualisierte Gewalt und sexistische Übergriffe am 28.10.2017 in Berlin Neukölln
Da wolle jemand unbedingt Provokation, schreibt die taz über Jens Jessen. © imago / Bildgehege
Von Klaus Pokatzky · 05.04.2018
Der "ZEIT"-Autor Jens Jessen bezeichnet die #MeToo-Debatte als "Triumph eines totalitären Feminismus" und vergleicht sie mit "bolschewistischen Schauprozessen". Doch Jessens gezielt Provokation läuft ins Leere und erzeugt weniger Aufregung als gedacht.
"Ich bin mit dem Teil des Journalismus unzufrieden, der Zitate verkürzt und den Zusammenhang ausblendet." Das hat unser Gesundheitsminister Jens Spahn in einem Interview der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG gesagt – und diesen Satz zitiert nun die Tageszeitung TAZ ohne jeden Kommentar. Auch wir verzichten lieber auf jeden Kommentar; hier werden Zitate immer in die Zusammenhänge eingeblendet – und nie verkürzt, sondern in voller Länge gebracht.

"Nur die Aufregung, die bleibt aus"

"Nee, weißte, danke, Mann." Das ist ein Zitat aus der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Dietmar Dath winkt damit gelangweilt seinem Kollegen Jens Jessen zu. Der hatte am Donnerstag in der Wochenzeitung DIE ZEIT seinen männlichen "Wutausbruch", wie das Mammutwerk stolz bezeichnet wurde – ein Wutausbruch gegen die #MeToo-Debatte gegen den männlichen Sexismus, weil die ein "Triumph eines totalitären Feminismus" sei. Ein Zitat daraus soll reichen. "Das System der feministischen Rhetorik folgt dem Schema des bolschewistischen Schauprozesses, nur dass die Klassenzugehörigkeit durch die Geschlechtszugehörigkeit ersetzt ist", hatte Jens Jessen geschrieben – der in Geschichte allenfalls ein "Ungenügend" verdient hat. Zu den bolschewistischen Schauprozessen gehörten schließlich zumindest sibirische Arbeitslager – wenn nicht gleich die Hinrichtung. "Unbedingt will da einer Erregung, unbedingt Provokation", meint die TAZ. "Nur die Aufregung, die bleibt aus", schreibt Patricia Hecht. "Worüber soll man sich auch noch aufregen, wenn das, was der Mann schreibt, vom Patriarchat schon gefühlte tausendmal ausgekotzt wurde."
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE drückt es etwas vornehmer aus. "Wie schwer macht Jessen zum Beispiel mir, einem echt total netten Typen, das Leben, wenn er mit abstrusen Vergleichen", schreibt Dietmar Dath, "genau das Niveau bedient, das derzeit mehr als jedes rechte oder linke, jedes feministische, homophobe, antisemitische oder scientologische Programm, mehr als jede Ideologie, sozialpolitische Auseinandersetzungen zum Spielplatz und vielleicht wirklich bald zum Schlachtfeld aufeinanderprallender Idiotien zurichtet?"

Wie viel Konservativismus braucht das Land?

Und damit sind wir schon wieder bei der Frage, wieviel Konservativismus unser Land braucht. "Politik sollte nur tun, was wieder revidierbar ist", steht dazu in der Tageszeitung DIE WELT. "Doch Untätigkeit im Sinne von konservativem Einschmiegen in den Lauf der Geschichte bedeutet das mit Sicherheit nicht", schreibt Thomas Schmid. "Im Gegenteil. Bremsen ist eigentlich nicht konservativ, sondern progressiv. Es ist Tätigkeit, Aktion. Wenn wirklich etwas gebremst werden soll – Atomkraftwerke, Autoverkehr, Landschaftsverzehr –, dann geht das ja nicht mit der Methode des Konservierens, des Festhaltens. Sondern nur durch Handeln, Schaffen und viele, viele Neuerungen. Wer bewahren will, muss verändern."
Wie der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman. "Am 18. April wird in der Hauptstadt Riad das erste Kino nach 35 Jahren Bann eröffnen", erfahren wir aus der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die kulturellen Neuerungen im Öl-Königreich, die der Kronprinz anstößt. "Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger Jahre hatten die bis dahin existierenden Lichtspielhäuser in Arabien nach und nach schließen müssen – fundamentalistische Kleriker erzwangen beim damaligen König Khalid eine konservative Wende", schreibt Moritz Baumstieger. Und nun soll "eine Oper gebaut und Jazz-Festivals organisiert werden. Am Sonntag Fand in Dschidda eines der ersten Pop-Konzerte mit dem ägyptischen Star Tamer Hosny statt. Selfies waren erlaubt, Tanzen immer noch verboten."
Auf den Feminismus können wir da wahrscheinlich noch lange warten.
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