Aus den Feuilletons

Vom Leichenschauhaus in ein geheimes Versteck

Der russische Journalist Arkady Babtschenko spricht auf einer Pressekonferenz in Kiew.
Der russische Journalist und Autor Arkadi Babtschenko hat der "FAZ" ein Interview gegeben. © AFP/SUPINSKY
Von Arno Orzessek · 27.06.2018
Die vorgetäuschte Ermordung Arkadi Babtschenkos sorgte weltweit für Aufsehen. Nun versteckt sich der Journalist in der Ukraine. Er trägt noch immer die Hose, die er im Leichenschauhaus anhatte, erfahren wir in der "FAZ".
Bei der Lektüre der frischen Feuilletons merkt man noch gar nichts davon, dass die deutsche Fußballnationalmannschaft jetzt erst mal schön Urlaub machen kann.

Obwohl die Überschrift "Die Zukunft ist schon längst vorbei" in der TAGESZEITUNG theoretisch auf die Löw-Elf hätte gemünzt sein können. Ist sie aber nicht – sondern auf eine "kleine Jubiläums-Retrospektive mit Filmen von Stanley Kubrick" im Hamburger Kiez-Kino B Movie. Was wir hiermit nur zu Protokoll geben.

Garten als Abbild des Charakters

Um die Wochenzeitung DIE ZEIT aufzuschlagen, in der Hanno Rauterberg über "Die Möblierung des Gartens" nachdenkt. In der Unterzeile heißt es:
"Ein Grill für 6000 Euro, riesige Sofalandschaften auf der Terrasse und dann noch diese seltsamen Baumelnester: Warum deutsche Gärten so schrecklich zugebaut aussehen und was das über unsere Gegenwart verrät."

Das ist ja eine beliebte feuilletonistische Disziplin: Aus irgendeiner Freizeit-Marotte, Design-Mode oder Lifestyle-Exaltiertheit das Wesen der Deutschen oder der Gegenwart überhaupt herauszulesen. Und also schreibt der Gartendeuter Rauterberg:

"Gerade in den Extremen zeigt sich, wohin das Gewöhnliche strebt. Der Garten ist das Experimentierfeld einer zerrissenen Gegenwart, die das Ursprüngliche verehrt und unter freiem Himmel die Freiheit des Individuums feiert, bar aller Zwänge, die es drücken. Und doch ist gerade den Deutschen die Zwanglosigkeit nicht geheuer, sonst müssten sie ihre Gärten nicht so furchtbar wohnlich machen. Manchen ist die Freiheit des Gartens so schwer erträglich, dass sie sich schon deshalb in ihre schaukelnden Höhlennester verkriechen. Dort bebrüten sie die eigene Ängstlichkeit."

Der Sound gefällt uns. Trotzdem halten wir Rauterbergs ZEIT-Artikel für einen typischen Fall von Überinterpretation.

Der Kalte Krieg der Technologie

Weit ins Offene hinaus lehnt sich auch der weißrussische Technik-Publizist Evgeny Morozov, der in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über "Das Ende der USA als digitale Supermacht" räsoniert.

Tatsächlich sieht Morozov China in Zukunft digital besser aufgestellt als die Vereinigten Staaten, nicht zuletzt, weil US-Präsident Trump Forschungsbudgets streicht und die Immigration begrenzt, die für die Tech-Industrie stets elementar war.
"Nach der Ära Trump" - so weissagt Morozov - "wird den USA nur eine Option bleiben: weiterhin die globale Wirtschaftsordnung anzufechten, die seine eigenen globalen Ambitionen behindert, und umfassende Anti-Peking-Strategien zu entwickeln, um seine anderen Verbündeten dafür zu bestrafen, dass sie sich auf Chinas Tech-Giganten verlassen. Wenn der Kalte Krieg der Technologie ernsthaft ausbricht, wird es nicht so klar sein, welche Seite die Interessen des globalen Kapitalismus verteidigt."
Evgeny Morozov in der SZ.

Im Visier des KGB

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG führt ein Gespräch mit dem Journalisten Arkadi Babtschenko, dessen Ende Mai gemeldete Ermordung vom ukrainischen Geheimdienst tatsächlich nur vorgetäuscht worden war, um Anschlagspläne des russischen Geheimdienstes zu enttarnen. Mittlerweile sitzt Babtschenko aus Furcht vor dem russischen Dienst in einem geheimen Bunker irgendwo in der Ukraine. Und dort ergeht es ihm so:
"Ich kann mich nicht frei bewegen, kann mich nicht einfach mit jemandem treffen. Wenn ich rausgehe, ist das jedes Mal eine Spezialoperation, die geplant werden muss. Wir konnten nur drei Koffer mitnehmen. Das ist alles, was ich hier habe. Selbst mein Stuhl und mein Besteck sind Staatseigentum. Ich trage immer noch die Hose, die ich im Leichenschauhaus anhatte. Ich kann in kein Geschäft gehen. Gestern bekamen wir ein Schneidebrett und eine Waschschüssel. Das war ein Festtag."

Kaum nötig zu sagen, dass Babtschenko in der FAZ ein absolut verheerendes Urteil über Russland unter Putin fällt. Er schließt mit den Worten: "Der Westen sollte endlich die Augen aufmachen." -

Wenn man’s so betrachtet, hat es vielleicht doch etwas für sich, dass die deutsche Elf bei der Putin-WM die Segel gestrichen hat.
Oder meinen Sie, dass wir da Dinge vermischen, die nicht zusammengehören?
Okay! Dann verbleiben wir eben für heute, mit einer Überschrift des Berliner TAGESSPIEGEL, "Einträchtig zwieträchtig".
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