Aus den Feuilletons

Vom Hochmut an deutschen Theatern

Frank Castorf
Intendant Frank Castorf (M) verabschiedet sich am 01.07.2017 in Berlin nach seiner letzten Vorstellung von "Baumeister Solness" (Ibsen) mit den Schauspielern auf der Bühne der Volksbühne. © picture alliance/dpa/Foto: Paul Zinken
Von Arno Orzessek · 08.09.2017
Das Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" beschäftigt sich mit "Hasskultur" – aber nicht etwa auf Facebook oder in der Politik, sondern mit dem "Abgrund an deutschen Theatern".
Für Till Briegleb ist die anhaltende Hetze gegen Chris Dercon, den neuen Intendanten der Berliner Volksbühne, kein Einzelfall, sondern ein Symptom der "demokratieverachtende(n) Manier" des Theaterbetriebs überhaupt. Um die theoretische Seite des Hochmuts am Theater zu beleuchten, zitiert Briegleb aus dem Essay, mit dem Peter Sloterdijk vor 18 Jahren seinen Freund Dieter Dorn verteidigt hat, als dieser als Intendant der Münchener Kammerspiel verabschiedet wurde.
"'Daß das Niedere dem Hohen den Rang abläuft – das ist die Generaltendenz des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, und dass die Niedrigbegabten ihre Gleichberechtigung mit den Hochbegabten erkämpfen, das ist das Gesetz der modernen ästhetischen Entropie. Das latente Thema in der Kultur des 20. Jahrhunderts ist der Vorrang der Demokratie vor der Begabung.'"
Soweit damals Peter Sloterdijk – zitiert von dem SZ-Autor Briegleb, der sich im Folgenden die Prominenz der Gegenwart vorknöpft.

"Alle seien ´Dummköpfe`"

"Claus Peymanns Äußerungen über Menschen, die er für unter seinem Niveau erachtet, sind Legion. Sich selbst beschrieb der Theatermacher als ´laut, besserwisserisch, begabt und wahnsinnig fleißig`, den einstigen Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner nannte er hingegen einen ´Lebenszwerg`, Oliver Reese, der ihm, Peymann, am Berliner Ensemble nachfolgt, einen ´handzahmen Verwalter`. Politiker sind für ihn ´Nasenpopel`. Aber auch die Anwürfe des Regisseurs Peter Stein gegen junge Kollegen, die alle unkonzentrierte ´Dummköpfe` seien und deswegen Schauspieler lieber mit ´Scheiße beschmieren und an der Rampe wichsen lassen`, sind ein Beispiel für die ´Freiheit` der Begabten im Theater. Ihre Vernichtungsurteile erwachsen aus dem sicheren Gefühl, in dieser Monade (…) (von) demokratischer Kontrolle und zwischenmenschlicher Verpflichtung befreit zu sein."
Keine Sorge, liebe Hörer! Wir haben nicht vor, unsere erste monothematische Kulturpresseschau ever abzuliefern.
Aber das Resümee von Till Briegleb, das muss noch sein:
"Es scheint (…) höchste Zeit zu sein für eine kritische Selbstbefragung des deutschen Theatersystems, oh hinter dem schönen Anschein der Kunstfreiheit und des Engagements für Flüchtlinge, Demokratie und Menschlichkeit nicht doch noch sehr hässliche Gepflogenheiten überdauern, die selbstgerecht, grenzverletzend und zutiefst undemokratisch sind."
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