Aus den Feuilletons

Virenschutz als praktizierte Nächstenliebe

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Leere Kirchenbänke von oben fotografiert, die Besucher halten Abstand wegen Corona.
Coronabedingte Einlasskontrollen zu Gottesdiensten stünden im Widerspruch zum Kirchenrecht, urteilt ein Theologe in der "NZZ". © picture alliance/Stefan Sauer/dpa
22.05.2020
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Gottesdienste sind wieder erlaubt. Das ist nicht jedem Recht. In der "NZZ" hält ein Theologe die Hygienevorschriften für theologisch bedenklich und fordert die Rückkehr des digitalen Gottesdienstes. Denn: Virenschutz sei praktizierte Nächstenliebe.
Zunächst: Theater. Wenn im August die neue Spielzeit beginnt, sollen sich im Großen Haus des Berliner Ensemble nur 200 Zuschauer tummeln – nicht wie sonst 700. Oliver Reese, der Intendant des BE, erkennt darin kein Problem für die Schauspieler – eher im Gegenteil, wie er in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG unterstreicht: "Ein Schauspieler spielt immer mit vollem Elan und Risiko, selbst wenn unten nur achtzig Leute sitzen. Es wird sich bestimmt auch eine neue Wertschätzung dafür bilden, wie kostbar jeder Sitzplatz ist. Denn es gibt dann im Lande weniger Häuser, die spielen, weniger Vorstellungen, weniger Plätze. Theatertickets werden in Berlin der heiße Scheiß sein! Pardon, die Vorfreude geht mit mir durch."

Modern Dance im öffentlichen Raum

Was das Tanztheater angeht, muss man gar nicht auf die neue Saison warten, sondern nur auf die Straße gehen. Denn dort, behauptet zumindest Dorion Weickmann in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, bewegen sich die Menschen dieser Tage ähnlich wie beim Modern Dance. "Eine so zufällige wie absichtsvolle Choreografie beherrscht neuerdings den öffentlichen Raum. Zufällig, weil nur Hellseher wissen, wer hinter der nächsten Ecke auftaucht, und absichtsvoll, weil die eigene Sicherheitszone unbedingt zu verteidigen ist. So zerfällt das gesellschaftliche Kollektiv in lauter Monominipartikel, die sich gegenseitig ausmanövrieren, um die gefürchtete, zum Austausch von Aerosolen – sprich: Atemluft – führende Kollision zu vermeiden."
Mangels Kenntnissen müssen wir offenlassen, ob Dorion Weickmann mit der Analogie zwischen Bewegungskuddelmuddel und Modern Dance ins Schwarze trifft oder nicht. Die TAGESZEITUNG unterhält sich mit der Schauspielerin Sandra Hüller. Cineasten kennen Hüller vor allem aus dem Film "Toni Erdmann". Theaterfreunde wissen, dass sie in der Hamlet-Inszenierung von Johan Simons, mit der Anfang Mai das virtuelle Theatertreffen in Berlin eröffnet wurde, die Hauptrolle spielt.
Ob ihr das Coronavirus Angst mache, fragt die TAZ - und Hüller entgegnet: "Mir persönlich nicht. Natürlich möchte ich niemanden verlieren, aber in Bezug auf mich denke ich immer, wenn es so ist, dann ist es so. Wenn das der Plan gewesen ist, dann war’s das halt." Beneidenswert locker, was Sein oder Nichtsein betrifft: die 42-jährige Sandra Hüller.

Gottesdienste unter Auflagen

Da wir bei den letzten Dingen sind, wenden wir uns der Kirche zu und näher dem Umstand, dass öffentliche Gottesdienste unter Auflagen nun wieder zugelassen werden. In der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG äußert sich der Theologe und Historiker Harm Klueting dazu überaus skeptisch. "Anmeldung, Einlasskontrolle und begrenzte Personenzahl sind theologisch bedenklich und für Katholiken ein Widerspruch zum Kirchenrecht. Warum nicht beim digitalen Gottesdienst und bei der geistigen Kommunion bleiben? Diese Form unterstreicht wie keine andere die Ausnahmesituation. Die Aufforderung 'Unterwerft euch die Erde' im Buch Genesis bezieht die Naturwissenschaft ein. Wenn heutige Virologen mehr über das Coronavirus wissen als die Mediziner von 1348 über den Pesterreger, so ist das gottgewollt. Naturwissenschaft ist kein Teufelszeug, sondern Teil des göttlichen Auftrags an die Menschheit. Nächstenliebe bedeutet auch, andere vor einem gefährlichen Virus zu schützen."

Altsprachliche Empfehlungen

Wolfgang Huber, ehemals Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, stellt in der Rubrik "Biografie in Büchern" in der Tageszeitung DIE WELT zehn Werke vor. Von Thomas Manns "Zauberberg" bis zu Hannah Arendts "Vita Activa" sind gut abgehangene Stücke dabei.
Zu den Losungen der Herrnhuter Brüdergemeine – von der WELT übrigens falsch als "Gemeinde" mit "d" ausgeschrieben – bemerkt Huber: "Schon als Pfadfinder war ich mit den Losungen als Teil unserer Morgenandacht vertraut. Inzwischen gibt es auch eine Ursprachenausgabe, sodass ich die alttestamentlichen Texte auf Hebräisch und die neutestamentlichen auf Griechisch lesen kann. Ein guter Start in den Tag." Corona hin, Corona her – mit Blick aufs Wochenende folgen wir gern der SZ, die in einer Überschrift rät: "Macht euch locker."
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