Aus den Feuilletons

Venedigs mediale Katastophe

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Ein Mann steht in Venedig bis zur Hüfte im Hochwasser.
Die Medien müssten mehr den Alltag der Hochwasserkatastrophe zeigen und nicht nur die Touristen und die Sehenswürdigkeiten, meint die "TAZ". © imago images / Independent Photo Agency Int.
Von Ulrike Timm · 14.11.2019
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Die "taz" prangert an, dass die Überschwemmung in Venedig zur "medialen Kulisse" herabgestuft werde. Es würden weder die richtigen Bilder gezeigt noch der Verursacher genannt - nämlich die neoliberale Politik, die die Lagune zerstört habe.
"Glücklichsein ist ganz leicht. Man muss nur wissen, wie man’s macht. Aber keine Angst, das kann man lernen." Wenn Sie das auch nie so richtig hingekriegt haben und sich womöglich etwas geknickt schon der Lernunfähigkeit bezichtigen, kriegen Sie Unterstützung von der Soziologin Eva Illouz, dem Psychologen Edgar Cabanas und von der Neuen Zürcher Zeitung. Die rezensiert nämlich das Buch, in dem die beiden Wissenschaftler das "Glücksdiktat" der sogenannten Positiven Psychologie auseinandernehmen.
Die NZZ findet das zwar prinzipiell gut, ärgert sich aber, dass die derzeit mächtig angesagten wider-die-Glücksdoktrin anschreibenden Autoren ebenso simpel gegen die Theorie zu Felde ziehen, wie diese gestrickt ist. Eine ordentliche Portion Kapitalismuskritik à la wer sich für glücklich erklärt "wird nie auf den Gedanken kommen, an den Verhältnissen in seinem Betrieb, an der Politik oder am Wirtschaftssystem etwas ändern zu wollen" setzt der Beschwörungsformel des dauernden Keep Smiling nix anderes als andere Beschwörungsformeln entgegen, meint die NZZ enttäuscht, und hätte von der Promi-Soziologin und ihrem Kompagnon gern Grundlegenderes gehört.

Venedigs Überschwemmung als "mediale Kulisse"

Die Einwohner Venedigs können sich mit solchen Betrachtungen des menschlichen Innenlebens derzeit nicht beschäftigen, sie müssen Wasser schippen, den Matsch abkratzen und sich um ihr salzzerfressenes Mauerwerk sorgen, und zwar mehr als je zuvor. Petra Reski konstatiert bitter in der taz: "Schon komisch, wenn man von der größten Hochwasserkatastrophe in Venedig seit 53 Jahren nichts anderes sieht als das schöne Spiegelbild der Goldmosaiken des Markusdoms und tapfere Touristen in Wegwerfstiefeln, die den Gezeiten die Stirn bieten. Keine Spur von der zerstörten Uferbefestigung (...), nichts von den Marmorsäulen, die kreuz und quer herumliegen, als hätte ein Riese kegeln gespielt (...) Nichts von den venezianischen Kindern, die nicht zur Schule gehen können, nichts vom venezianischen Alltag".
"Schöne Katastrophe", der taz-Titel ist sehr böse gemeint. Petra Reski, die seit langem in Venedig lebt, ärgert sich darüber, wie die Katastrophe zur "medialen Kulisse" herabgestuft wird. Regen und Klimawandel sind diesmal wohl nicht verantwortlich, die Ursachen liegen woanders, meint die taz: "Venedigs Hochwasser ist das Ergebnis einer neoliberalen Politik, die die venezianische Lagune durch Ausgraben der Kanäle für Erdöltanker und Kreuzfahrtschiffe sowie durch eine sieben Milliarden teure Hochwasserschleuse zerstört hat. Eine Schleuse, die nie funktionieren wird."

Selber lesen fördert Leseliebe

"Ein Weltgericht, wie es sich kein protestantischer Eiferer vollständiger ausdenken könnte" – wir sind in der Süddeutschen Zeitung gelandet, die das neueste Buch der Bestsellerautorin Maja Lunde bespricht. Es spielt kurz vor dem endgültigen Weltuntergang und erzählt von den letzten übrig gebliebenen Menschen. Populäre Literatur, die die Dogmen der Klimakrise predigt, nennt die Süddeutsche das, ärgert sich über die simple Machart und über, Zitat: "Das Missverständnis: Man hält das Reden von der Katastrophe bereits für Widerstand". Wird aber bestimmt wieder ein Bestseller.
"Niemand muss lesen. Man kann ohne Romane glücklich werden. Vielleicht wird man sogar ohne Sachbücher klug. Es gibt ja immer noch das Internet", schreibt die WELT, um dann, natürlich, zum Plädoyer vom Zauber des Lesens zu kommen. Wieland Freund macht sich Gedanken, wie man Kinder für Bücher begeistern kann, und kommt zum simplen, aber fundamentalen Schluss: "Bücher liebt, wer sieht, wie Bücher geliebt werden". Lesende Eltern ziehen lesende Kinder groß, das Vorbild bringt mehr als Vorlesen in der Kuschelecke und alle Harry Potter Romane zusammen. Aber dazu müssen Eltern eben auch öfter mal selbst statt zum Smartphone zum Buch greifen…
Die schönste Überschrift des Tages steht in der FAZ und gilt auch einem Buch: "Elfriede Jelineks Roman ‚Die Kinder der Toten‘ schleppt sich gurgelnd ins Kino – da passt er hin".
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