Aus den Feuilletons

Venedig braucht einen Schutzdamm

06:12 Minuten
Venedig steht aktuell unter Wasser.
Venedig hat mit Hochwasser zu kämpfen. Ein Damm soll Überflutungen in Zukunft verhindern. © picture alliance / dpa / MAXPPP / Pierre Teyssot
Von Tobias Wenzel · 16.11.2019
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Sieben Milliarden Euro könnte der Damm kosten, der Venedig in Zukunft vor Hochwasser retten soll. Der Grund, warum Venedig immer öfter von Hochwasser bedroht ist, sei vor allem das "Ausweiten und Ausgraben der Schifffahrtskanäle", schreibt die "SZ".
Na, liebe Hörer, immer noch in Mauerfallfeierlaune? Dann Vorsicht! "Wer nur 1989 abfeiert, könnte – so oder so – die nächste Revolution verpassen", warnte der Politikwissenschaftler Claus Leggewie in der TAZ. Er brachte den Widerstand gegen Antidemokraten ins Spiel:
"Widerstand ist eine ultima ratio, wenn Oppositionelle als 'Feinde des Volks' (Donald Trump) denunziert werden, faire Wahlen nicht mehr stattfinden, Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird und die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt ist. Das ist in Russland und der Türkei schon der Fall, in Ungarn und Polen weit gediehen und in den USA auf schlechtem Wege." Leggewie forderte aber erst einmal eine "kühle Geistesgegenwart" ein. Denn "um die Demokratie steht es so schlecht wie ums Weltklima".

Hauptthemen der Feuilletons: Demokratie und Klimawandel

Demokratie und Klimawandel sind überhaupt die zwei prägenden Themen dieser Feuilletonwoche gewesen. Auch auf sehr überraschende Weise: In der ZEIT sprach Hanno Rauterberg vom "Teufelskreis demokratischer Kunst". Museen hätten auf die Proteste der Besucher, die sich nicht repräsentiert fühlen, auffallend defensiv reagiert, urteilte er. Die Museen hätten Kunstwerke entfernt oder abgedeckt, anstatt die Freiheit der Kunst zu verteidigen: "Niemanden will man brüskieren, niemand soll sich zurückgelassen fühlen", schrieb Rauterberg. Das alles führe zu folgendem Teufelskreis:
"Je weniger die künstlerischen Qualitäten bei der Auswahl der gesammelten Werke eine Rolle spielen, desto mehr dürfen sich jene zu Protesten und Boykottaufrufen ermutigt fühlen, die ihre sozialen und politischen Ideale widergespiegelt sehen wollen und gerne auch die historische Kunst an den moralischen Maßstäben der Gegenwart messen. Je mehr aber diese demokratisch bestimmten Maßstäbe das Programm der Museen prägen, desto schwerer wird es, für die unbedingte Freiheit der Kunst, auch für ihre Absurditäten und ihre Zumutungen einzutreten."

Kostenexplosion beim Berliner Museum der Moderne

Als Zumutung empfindet Architekturkritiker Niklas Maak von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG die Kostenexplosion beim Berliner Museum der Moderne. Der Bau mit viel Tiefbau zwischen Philharmonie und Nationalgalerie soll nicht mehr 200, sondern bis zu 450 Millionen Euro kosten. "Wenn eine Privatperson von der Bank die Summe X zur Verfügung gestellt bekommt, um ein Haus zu bauen, wird sie in den allermeisten Fällen nicht sagen können: Ach, warte mal, nee, ich brauche jetzt doch die doppelte bis dreifache Summe – es sei denn, eine sehr gutmütige und sehr wohlhabende Tante springt ein. Und im Fall der Berliner Kulturpolitik ist diese Tante der Steuerzahler", schrieb Maak und flehte den Haushaltsausschuss des Bundestags geradezu an, dieses "frivole Luxusprojekt", das "zum BER der Museumslandschaft" werden könne, in keinem Fall durchzuwinken. Vergeblich.

Hochwasser zerstört Venedig

Aber was sind schon 450 Millionen im Vergleich zu sieben Milliarden! So teuer wird wohl der hydraulische Damm, der Venedig vor Hochwasser schützen soll. Da der aber noch im Bau ist, konnte er das jetzige, verheerende Hochwasser nicht aufhalten. Das Salzwasser ist auch in die Krypta des Markusdoms gelaufen und hat Mauerwerk und Pfeiler schwer geschädigt, wie Thomas Steinfeld in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG berichtete: "Mit den tragenden Teilen dieses Baus verhalte es sich wie bei Strahlenschäden, erklärt Mario Piana, der für alle Restaurationsarbeiten Verantwortliche Architekt der Kirche, der italienischen Presse. Zuerst sehe ein Betroffener noch ganz gewöhnlich aus. Dann begännen Haare und Zähne auszufallen."
Übertragen auf den Dom soll das wohl heißen: langfristig Einsturzgefahr. Der Grund für das Hochwasser sei vor allem das "Ausweiten und Ausgraben der Schifffahrtskanäle", erklärte Steinfeld. Der Bürgermeister Venedigs hat dagegen, ganz in seinem Sinne, aber wenig glaubhaft, einen anderen Schuldigen ausgemacht: den Klimawandel.
Wie würde Greta Thunberg wohl reagieren, wenn sie wüsste, was Mario Vargas Llosa dem neuen SPIEGEL gesagt hat? "Ich finde es wichtig, dass die jungen Menschen sich engagieren. Aber wir dürfen nicht fanatisch werden", so der peruanische Literaturnobelpreisträger. Und weiter: "Die Industrie ist wichtiger als die Ökologie."

"Klimawandel-Vivaldi" vom NDR-Elbphilharmonie-Orchester

Wenn man den Klimawandel schon nicht mehr aufhalten kann oder möchte, warum ihn dann nicht einfach abbilden? Zum Beispiel in der Musik. Dass das NDR-Elbphilharmonie-Orchester einen "Klimawandel-Vivaldi" spielt, das heißt Vivaldis "Vier Jahreszeiten", aber überarbeitet von einem mit Wetterdaten gefütterten Algorithmus, inspirierte Rüdiger Schaper im TAGESSPIEGEL zum Blick in die Zukunft: "wenn der Klimawandel die Musik voll erfasst – was wird dann aus Schuberts 'Winterreise', Schumanns Frühlingssinfonie? All die Weihnachtslieder – geschmolzen."
Bevor Ihnen, liebe Hörer, gleich die Tränen kommen vor lauter Sorge um Klima und Demokratie, zum Schluss besser noch etwas Überraschendes aus dem Interview, das die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG mit der französischen Autorin Yasmina Reza geführt hat: "Sie haben einmal gesagt, das Alter sei ein Exil." – "Das habe ich gesagt?" – "Soweit ich weiß, ja." –"Was für ein idiotischer Satz."
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