Aus den Feuilletons

Über politische Instrumentalisierung

Ein Zettel mit der Aufschrift "Engel sind für immer nah" liegt am 28.12.2017 vor dem Drogeriemarkt in Kandel zwischen abgelegten Blumen und Kerzen
Gedenken an das Opfer in dem Drogeriemarkt in Kandel. © Andreas Arnold / dpa
Von Arno Orzessek · 02.01.2018
Die Ermordung eines jungen Mädchens durch ihren Freund, einen jungen Asylbewerber, beschäftigt die Feuilletons. Wie darüber berichten, ohne die Täter-Herkunft zu betonen? Wie ausführlich darf man darauf hinweisen, ohne dass die Gefahr der Instrumentalisierung besteht?
"Dieses Jahr ist, im sehr Wesentlichen, noch ergebnisoffen. Zwar weiß man schon, wie die ersten zwei Tage verlaufen sind, aber über dem dritten hat sich der Nebel der Ungewissheit noch nicht ganz gelichtet, der Rest liegt eh noch darunter."
So Edo Reents in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG (FAZ).
Falls Sie wissen möchten, liebe Hörer, warum wir hier Sätze wie die obigen zitieren, die offenbar keinerlei journalistische Relevanz haben, dann antworten wir Ihnen:
Eben darum, weil sie keinerlei Relevanz haben.
Aber dafür diese Gedankenfederleichtigkeit, die ohne ein überzeugendes Quantum Irrelevanz gar nicht zu haben wäre.
Dem FAZ-Autor Reents gefällt es jedenfalls, über die vielerorts beschworene Ergebnisoffenheit des neuen Jahres nachzudenken.
Was ihn zu der – ein bisschen ins Eckhardt von Hirschhausenhafte ausschlagenden – Erkenntnis bringt, das Leben überhaupt sei ergebnisoffen.
"Wenn dies aber für das Leben als solches und eigentlich bis zu dessen Ende gilt (so Reents), dann ist das meiste, das sich darin abspielt, fast logischerweise auch ergebnisoffen; besonders sind es die eigentlich wichtigen, oft unbefriedigend in der Schwebe liegenden oder hoffnungslos in sich verhedderten Angelegenheiten."

Verheddern in Erklärungsversuchen

Das Schöne an Reents Worten ist nicht zuletzt, dass sie uns eine bezwingende Überleitung ermöglichen.
Denn eigentlich wichtig, aber nicht selten hoffnungslos in sich verheddert – das sind die Erklärungsversuche für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien à la AfD.
Trotzdem versucht es der Soziologe Stephan Lessenich in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG (SZ) noch einmal.
"Wenn sich (…) heute Unbehagen am Gang der gesellschaftlichen Dinge artikuliert, wenn öffentlich Unzufriedenheit geäußert wird und sich sozialer Protest regt, dann stecken dahinter gerade nicht – weder auf der Straße noch in der Wahlkabine – die am schlechtesten Gestellten und Vergessenen der bisherigen Aufstiegsgesellschaft. (…) Was wir im Jahr 2017 vielmehr erlebt haben, ist der ‚Aufstand der Etablierten‘ (wie es Cornelia Koppesch ausdrückt): Eine Bewegung zur Verteidigung von als gerechtfertigt erachteten und durch den Aufstieg von Außenseitern als gefährdet wahrgenommenen ökonomischen, sozialen und kulturellen Vorrechten. Eine Bewegung, die Klassenkämpfe aus der Mitte führt."
So Stephan Lessenich in der SZ.
Uneins sind sich FAZ und TAGESZEITUNG (TAZ), was die Berichterstattung über die Tötung des Mädchens in Kandel angeht.
Der FAZ-Autor Michael Hanfeld wirft der "Tageschau" vor, das Verbrechen zunächst nicht erwähnt zu haben – und zwar mit der Begründung, es handele sich um eine "Beziehungstat".
Hanfeld rekapituliert:
"Der mutmaßliche Täter kam als Asylbewerber nach Deutschland, wurde von der Familie des Mädchens, das er erstach, aufgenommen, ließ von der Fünfzehnjährigen nicht ab, auch nachdem diese die Beziehung mit ihm beendet hatte, wurde in einer 35 Kilometer entfernten Einrichtung untergebracht, wegen Belästigung von der Familie angezeigt, von der Polizei einer ‚Gefährderansprache‘ unterzogen, am selben Tag tötete er das Mädchen."

Darf man die Täter-Herkunft betonen?

Die TAZ dagegen beklagt, die überregionalen Medien hätten die Täter-Herkunft viel zu sehr betont.
"Ja, auch ein mutmaßlicher Totschläger verdient Schutz vor politischer Instrumentalisierung (konstatiert Peter Weissenburger). Wenn bei einem Afghanen andere Maßstäbe angelegt werden, hat das einen Namen: Rassismus."
Schöneres zum Schluss. In der Tageszeitung DIE WELT hält Amely Deiss ein "Plädoyer für mehr Spaß im Museum".
"Sie müssen keine Ahnung von Performancekunst haben, um von einer Installation von Anne Imhof so gefesselt zu sein, dass Sie sich schon seit zwei Stunden sagen ‚fünf Minuten bleibe ich noch‘. Man kann immer noch tiefer gehen, Hintergründe, Verbindungen, Biografisches durchleuchten. Verstehen. Aber die Tiefe des Gefühls, die Leidenschaft, die bekommt man einfach so, wenn es einen packt, im Affekt sozusagen: Die Intensität. Die Größe. Den Wahnsinn. Die Liebe. Den Hass. Die Unendlichkeit."
Wir sagen dazu gar nichts.
Und überhaupt nur noch die drei Worte, die in der BERLINER ZEITUNG Überschrift wurden:
"Ein frohes Neues!"
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