Aus den Feuilletons

Über den Unterschied von Judenhass und der Kritik an Israel

04:11 Minuten
Felix Klein ist der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus
Monika Schwarz-Friesel verteidigt Felix Klein in der "Welt" - nie habe er legitime rationale Kritik mit Antisemitismus gleichgesetzt. © dpa / picture alliance / Wolfgang Kumm
Von Arno Orzessek · 28.07.2020
Audio herunterladen
Mit einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin warnt eine Gruppe von Akademikern davor, dass Kritiker der israelischen Politik zunehmend eingeschüchtert würden. Die Kritik am Antisemitismusbeauftragten Felix Klein sei unberechtigt, heißt es in der "Welt".
"Sie, Herr Zuckerberg, sind einer der Potentaten der Macht, der sogenannten vierten Gewalt, denn Facebook ist ein Teil der vierten Gewalt. Wenn auf Facebook jemand dazu anstiftete, mich, Marian Turski, umzubringen, dann glaube ich, dass Sie das sicher für unzulässig halten würden. Aber Menschen, die heute den Holocaust leugnen, verfolgen eine Ideologie und geben sie an die junge Generation weiter, die den Tod von sechs Millionen Marian Turskis verursacht hat. Deshalb appelliere ich heute an Sie, nicht zuzulassen, dass Holocaust-Leugner auf Facebook in Erscheinung treten."
Der Verfasser dieser Sätze, Marian Turski, ist der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees. Geboren 1926, hatte er einst das Ghetto von Litzmannstadt, das KZ Auschwitz und zwei Todesmärsche überlebt.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG veröffentlicht Turskis offenen Brief an Facebook-Chef Zuckerberg unter dem Titel "Lassen Sie das nicht zu!"

Israelkritiker fühlen sich bedroht

Um einen anderen offenen Brief geht es in der Tageszeitung DIE WELT. Jenen nämlich, in dem sich 60 Akademikerinnen und Akademiker aus Deutschland und Israel an Bundeskanzlerin Merkel gewandt haben. Und zwar, um vor einer "Stimmung der Brandmarkung, Einschüchterung und Angst" zu warnen, von der sich Israel-Kritiker bedroht fühlen; und um die Arbeit von Felix Klein zu bemängeln, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung.
Die Antisemitismusforscherin Monika Schwarz-Friesel springt Klein in der WELT jedoch entschieden zur Seite:
"Felix Klein hat lediglich das gemacht, wofür er eingesetzt wurde: gegen alle Formen des aktuellen Judenhasses vorzugehen. Er hat kein einziges Mal legitime rationale Kritik mit Antisemitismus gleichgesetzt. Notabene: Niemand von Sinn und Verstand tut dies! Wer noch einen Rest von Geschichtsbewusstsein, einen Funken von Anstand sowie Sachverstand und ein gewisses Quantum an Verantwortungsbewusstsein in Bezug auf jüdisches Leben in diesem Land hat und wer ernsthaft an Meinungsfreiheit interessiert ist, der sollte diesem unwürdigen Treiben energisch Einhalt gebieten."
So Monika Schwarz-Friesel in der WELT - in der es auch sonst hoch hergeht.

Über die Regeln der "Besten Gemeinschaft aller Zeiten"

Samuel Schirmbeck, ehemals ARD-Korrespondent für Nordafrika, blickt auf die Ausschreitungen in Frankfurt und Stuttgart zurück – und erklärt: "Man macht sich in Deutschland keinen Begriff davon, wie fundamental für die muslimische Welt die Unterscheidung zwischen 'gläubig' und 'ungläubig' ist, zwischen 'islamisch' und 'unislamisch'. 'Gläubig' zu sein bedeutet zuallererst: Muslim sein, Mitglied der 'besten Gemeinschaft' aller Zeiten, egal, wie fromm das Mitglied dieser Gemeinschaft den göttlichen Geboten in der Praxis folgt. Den 'Ungläubigen' ist man als Muslim allemal überlegen, selbst wenn man Straftaten begeht, denn Muslim bleibt man auch dann noch. Da hat die deutsche Polizei zurückzustehen."

Kulturkampf-Stimmung in den Redaktionen

Man darf Samuel Schirmbeck zu den "lieben weißen Boomern" zählen, an die sich kürzlich Leonie Schlick im Namen der 58. Lehrredaktion der Deutschen Journalistenschule gewandt hat.
Schlick forderte alte, weiße Mediengestalter dazu auf, ihren Platz für junge Journalisten aus der Gruppe "Black, Indigenious & People of Colour" frei zu machen. Der WELT-Autor Manfred Klimek – "alt, weiß, männlich", wie es heißt –, findet das infam: Die Nachwuchs-Journalisten samt Leonie Schlick würden "eine Klasse von Robespierristen" sein wollen, "die köpft statt austariert".
Und weiter:
"Heute geht es im Journalismus darum, andere und sich selbst zu bezichtigen. Es geht um Reinigung von Rassismus, Unmoral und allem Reaktionären. Um Reinigung vom Alter, von den Alten, die ja für Rassismus, Unmoral und Reaktion das Schwert führen. So denkt eine moralisierende neue Generation von Journalistinnen und Journalisten. Und diese Personenschaft wird in den Redaktionen alsbald die Mehrheit sein."
So Manfred Klimek in der WELT, in der offenbar eine hitzige Kulturkampf-Stimmung herrscht.
Was immer Sie vom Lauf der Dinge halten, bleiben Sie – mit einer Überschrift des Berliner TAGESSPIEGEL – "Hellwach".
Mehr zum Thema