Aus den Feuilletons

Gegen die "Erklärbärattitüde"

Der Philosoph Markus Gabriel, aufgenommen im Oktober 2013. Gabriel lehrt seit 2009 als Professor an der Universität Bonn und war damit 2009 der jüngste Philosophieprofessor Deutschlands.
Ist der Philosoph Markus Gabriel ein "Erklärbär"? © picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Von Arno Orzessek · 22.10.2018
Verwirrung gebe es bei der CSU, die orientierungslos die bürgerliche Mitte suche, findet die "taz", die Wohnungsbau statt Raumfahrt fordert. Die "SZ" kritisiert den populären Philosophen Markus Gabriel mit einer Lautmalerei.
Es gibt Worte, die wir aufgrund ihrer Bedeutung sympathisch finden. Andere Worte mögen wir wegen ihres Klanges. An dritten gefällt uns das Schriftbild. Dass uns aber Bedeutung, Klang und Schriftbild zugleich gefallen, kommt selten vor.
Und nicht wenige dieser Worte gehören in die Abteilung "Lautmalerei", darunter lallen, autsch! und Kuckuck.

Nun aber titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Gelehrsamkeit und Erklärbärattitüde."

Vergessen Sie "Gelehrsamkeit", konzentrieren Sie sich auf "Erklärbärattitüde". Stellen Sie sich vor, wie lustig die Abfolge von lär und bär und tüd gedruckt aussieht. Dann verstehen Sie vielleicht, was wir an dem Wort sympathisch finden, und wir können uns jede weitere Erklärbärattitüde ersparen.

Keine Lösung im Kampf gegen Populismus

In dem SZ-Artikel bespricht übrigens Daniel-Pascal Zorn das Buch "Der Sinn des Denkens" von dem gehypten und umstrittenen Bonner Philosophen Markus Gabriel und bekrittelt die politischen Passagen:

"Gabriel kommt an den Stellen, wo es ums Eingemachte geht – die Herausforderungen des Populismus, die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit, die Unverfügbarkeit der Menschenrechte – über Forderungen nicht weit hinaus."

SPD verkennt Chancen

Ähnliches ließe sich von der SPD behaupten – darum liest ihr die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG die Leviten.

"Heutige Sozialdemokraten schüren Erwartungen, die niemand erfüllen kann. Außer einigen Traumtänzern glaubt niemand, man könne die Misere auf dem Wohnungsmarkt in den Großstädten von heute auf morgen beenden. Die Zuwanderung der vergangenen Jahre hat alle Erwartungen an die Folgen des demographischen Wandels widerlegt. Die Stärkung kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungsbaugesellschaften, verbunden mit einer Reform des Bodenrechts zur Eindämmung von Spekulationsgewinnen – das wäre klassische sozialdemokratische Politik", wettert der FAZ-Autor Frank Lübberding.

Was ist bürgerlich ?

Wir bleiben politisch. Die TAGESZEITUNG titelt: "Das Attribut 'bürgerlich' nicht den Rechten überlassen." Doris Akrap stößt sich daran, dass Ministerpräsident Markus Söder nach der Bayernwahl die Grünen als Koalitionspartner abgelehnt hat, weil er eine "bürgerliche Koalition" bevorzugt.
Akrap kopfschüttelnd: "Die Grünen sind in ihrer Mitglieder- und Anhängerschaft so homogen bürgerlich wie kaum eine andere Partei."

Mit Blick auf die jüngere CSU-Politik aber wird Akrap sarkastisch: "Schön wäre, wenn man eine Antwort darauf bekäme, was daran bürgerlich ist, Geflüchtete in ihrer Menschenwürde zu kränken, Autobahnen statt Arbeiter zu bezahlen und Raumfahrtprogramme auszubauen statt Wohnraum."

Passende Lehrstühle erfinden

Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG stört sich an etwas anderem: "Zehn zu eins geht nicht: Linkslastigkeit an amerikanischen Universitäten". Laut NZZ-Autor Marc Neumann besagt eine Studie sogar: In den Fächern Anthropologie und Kommunikation gibt es nur demokratische und null republikanische Professoren. Tja, was passiert wohl, wenn Trump davon Wind bekommt? Vermutlich lässt der US-Präsident per Dekret sofort Lehrstühle für republikanische Anthropologen schaffen.

Misslungene DDR Aufarbeitung

Aber zurück nach Deutschland. In der SZ behauptet der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, die Aufarbeitung der DDR-Geschichte sei komplett missraten.

"Als die DDR-Vergangenheit ab 1990 öffentlich erzählt wurde, staunten die meisten Ostler. Vieles sei ihnen neu, hörte man immer wieder. Das war oft schwer zu glauben. Dahinter verbarg sich aber etwas anderes: Diese Geschichte von Leid, Opfern, Unterdrückung und Widerstand erreichte die Gesellschaft nicht, es war nicht ihre Geschichte.
Die Aufarbeiter aber hatten nicht verstanden, dass sie an der Gesellschaft vorbei erzählten. Immer wenn ihnen die Gegenerzählung nicht passte, vermuteten sie alte Seilschaften (die es auch gab) und ewig Gestrige (die es zuhauf gab) dahinter. Fast die Hälfte der Ostdeutschen kann sich nun vorstellen, die rassistische AfD zu wählen; und fast die Hälfte fühlt sich als Deutsche zweiter Klasse. So viel Kollektivismus im Osten gab es bisher noch nie."

Ilko-Sascha Kowalczuk in der SZ. –

Das wars. Falls Sie nicht wissen, was Sie jetzt tun sollen – ein Titel im Berliner TAGESSPIEGEL empfiehlt:
"Rückzug ins Schlafzimmer."
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