Aus den Feuilletons

Türkei baut Brücken nach Europa und zerstört sie wieder

Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan in Istanbul.
Bundeskanzlerin Merkel und der türkische Präsident Erdogan in Istanbul. © picture-alliance / dpa / Türkisches Präsidialamt
Von Adelheid Wedel · 30.10.2015
Die Parlamentswahlen in der Türkei und das "autoritäre System Erdogan" - kurz vor dem Wahlsonntag analysieren und kritisieren die Feuilletonisten die Zustände in dem Land. Erdogan mache sich die Türkei untertan, hieß es etwa in der "FAZ".
Erdogan macht sich die Türkei untertan titelt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG. Karen Krüger beschreibt die Situation im Land kurz vor den Parlamentswahlen an diesem Sonntag. Sie erinnert daran, welche Ziele das Land einst anstrebte: Modern, demokratisch, westlich orientiert und säkular wollte es sein. Viel übrig geblieben ist davon nicht, meint die Autorin und schlussfolgert: Am Sonntag wird sich zeigen, ob es noch eine Zukunft für jene gibt, die dieses Ziel weiterhin verfolgen. Groß sei die Hoffnung nicht, erklärt sie und beklagt: Der Friedensprozess mit den Kurden liegt am Boden, die Gräben zwischen Säkularen und Religiösen sind so tief wie lange nicht – von einem "gemäßigten Islam" redet heute niemand mehr. Die Sicherheitskräfte agieren wie eine Guerilla im eigenen Staate, auf Intellektuelle wird massiver Druck ausgeübt, die Justiz ist zu einem Lakaien im Dienste der Regierung geworden, und nur noch wenige Zeitungen und Fernseher können sich der medialen Gleichschaltung entziehen. In diesem Zusammenhang berichtet die Autorin von dem jüngsten Coup der Regierung, dessen Opfer das Koza-Ipek-Medienhaus und die dort arbeitenden kritischen Journalisten sind.
Ähnlich besorgt äußert sich Deniz Yücel auf der Forum-Seite der Tageszeitung DIE WELT. Er schreibt: Am Sonntag stehen zwei Modelle zur Abstimmung: das autoritäre System Erdogan – und die Vision einer pluralistischen Gesellschaft, wie sie bei den Protesten vor zwei Jahren aufschien. Ebenfalls in der WELT äußert sich die 42-jährige türkische Journalistin und Schriftstellerin Ecce Temelkuran in einem Interview über die Brutalisierung des Alltags, kollektive Minderwertigkeitsgefühle und ihre Hoffnung auf den Wandel. In ihrem Roman "Euphorie und Wehmut" erzählt sie eindrucksvoll von ihrem widersprüchlichen Land. Die Türkei baue Brücken nach Europa und breche gleichzeitig längst bestehende ab, klagt die Journalistin, die wegen ihrer kritischen Kolumnen gegenüber der AKP-Regierung aus ihrer Zeitung "Habertürk" gefeuert wurde. Wir werden bedroht, sagt sie im Interview in der WELT.
Nirgends passt Musik, die eine Ahnung von einem lichteren, besseren Leben gibt, besser hin – es war zum Staunen und zum Weinen, so Eleonore Brüning in der FAZ. Sie berichtet: Eine kleine Gruppe, zusammengesetzt aus Musikfreunden, Musikern und Musikkritikern, war vom Mozarteum Salzburg ausgesandt, um gemeinsam mit den Kubanern das erste kubanische Mozart-Fest der Musikgeschichte zu feiern. Was für ein Ereignis, in einer Zeit und einer Stadt, die von Brüning so charakterisiert wird: Havanna hat sich verwandelt in eine Stadt der Phantomschmerzen. Welthauptstadt des Stillstands, des Schimmels, der doppelten Währung und dreifachen Buchführung, des rasenden Zerfalls und sporadischen Stromausfalls. Dort nun erklangen die heiteren, leuchtenden Luftkünste Mozarts. Zwanzig Konzerte in 14 Tagen. Sie alle fingen enorm verspätet an, denn draußen staute sich das Publikum, das noch hinein wollte. Die Gruppe, Brüning nennt sie die Mozart-Bringer, hat viel erreicht, in Havannas Altstadt wurde eine Mozarteums-Dépendance aufgebaut. Es soll der Ausbildung junger Musiker dienen, künftig auch Konzerte veranstalten, im eigenen Konzertsaal, dem Oratorio San Felipe Neri. Einst zur Kolonialzeit war dies ein Gotteshaus. Dann, zu amerikanischen Zeiten, eine Bank. Danach verrottete der Bau. Jetzt ist daraus ein Saal mit vierhundert Plätzen und einer trennscharfen Raumakustik geworden.
Dieter Dorns Inszenierungen der großen Klassiker von Shakespeare bis Goethe gelten als legendär, schreibt die BERLINER ZEITUNG und gratuliert dem Theatermann zum 80. Geburtstag an diesem Sonnabend. Die FAZ druckt ein ausführliches Interview mit dem Jubilar, in dem er von den Proben zu Verdis Oper" La Traviata" am Schillertheater mit Daniel Barenboim spricht. Premiere ist kurz vor Weihnachten. Dorn dazu: Das nächste Stück ist immer das schwerste. Es fordert meine ganze Konzentration, mich dem Verdischen Um-ta-ta zu widmen.
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