Aus den Feuilletons

Theaterbesetzungen in Frankreich erinnern an 1968

04:06 Minuten
Das Théâtre National de l'Odéon in Paris ist besetzt.
Das Théâtre National de l'Odéon in Paris war das erste, das infolge der Kritik an den Corona-Maßnahmen der französischen Regierung besetzt wurde. © Martin Bureau / AFP
Von Klaus Pokatzky · 14.03.2021
Audio herunterladen
Die coronabedingte Schließung der Theater ruft in Frankreich erheblichen Widerstand hervor. Immer mehr Schauspielhäuser werden besetzt. Für die "FAZ" weht "ein Hauch vom Mai 1968 durch Frankreich", als das Land regelrecht lahmgelegt wurde.
"In den Siebzigerjahren war man in Deutschland ein Künstler, wenn man am Theater war, und ein Handwerker, wenn man fürs Fernsehen arbeitete", lesen wir in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. "Ich habe immer beides gemocht – und auch beides gemacht", sagt der Filmregisseur Wolfgang Petersen, der seit vielen Jahren in Los Angeles lebt, im Interview, das einen Tag nach seinem 80. Geburtstag erscheint.
"Mir gefällt sehr gut, dass die Amerikaner nicht diesen Dünkel haben und Kunst und Unterhaltung nicht als etwas Gegensätzliches ansehen." Und beim nächsten runden Geburtstag schafft die SÜDDEUTSCHE es vielleicht pünktlich.

Kunst braucht Räume, um sich entfalten zu können

"Zwar stehen Kulturschaffende nicht unbedingt in Konkurrenz zueinander, sie agieren und denken aber unterschiedlich", heißt es in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Sie lassen sich also nur schwer in einer Stimme zusammenführen", meint der Sänger Christian Gerhaher, der die Initiative "Aufstehen für die Kunst" mitgegründet hat, die bei anhaltenden Einschränkungen des Kulturbetriebs durch Corona gegen die staatlichen Maßnahmen vor die Gerichte ziehen will."Kunst braucht Räume, um sich entfalten zu können. Diese Räume hat sie derzeit nicht, weil die Kunstfreiheit derart ausgehöhlt wird. Das ist eine echte Gefahr und zwar nicht nur für die Künste, sondern für das Selbstverständnis unserer Gesellschaft insgesamt", sagt Christian Gerhaher ohne jede Sympathie für querdenkende Corona-Verdränger.
"Im Sommer gab es tatsächlich eine Emotionalisierung im Diskurs, und auch die 'Querdenker' waren als Bewegung sehr stark. Inzwischen wird aber meines Erachtens weitaus vernünftiger diskutiert. Die Situation hat sich entschärft."

Ein Hauch vom Mai 1968 weht durch Frankreich

Anderswo geht es ruppiger zu. "Mit immer mehr Theaterbesetzungen verleiht Frankreichs Kulturwelt ihrer Forderung nach Wiedereröffnung der Kulturstätten Nachdruck", steht im Berliner TAGESSPIEGEL. "Seit mehreren Tagen wurden über 30 Schauspielhäuser illegal in Besitz genommen."
Für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG weht da schon "ein Hauch vom Mai 1968 durch Frankreich", als das Land durch Protestaktionen regelrecht lahm gelegt wurde. "In einer Zoom-Schaltung mit den Besetzern gab sich Premierminister Jean Castex kleinlaut und bedauerte, dass für die Freiberufler und Bühnenarbeiter der Urlaub im Fall von Mutterschaft und Krankheit nicht längst 'per Dekret' im Eilverfahren eingeführt worden sei", macht Jürg Altwegg in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN dann zumindest ein wenig Hoffnung auf Einsicht in unserem Nachbarland.

Wachsende Diskrepanz zwischen Worten und Taten

"Aus meiner Sicht gibt es keine praktikable Alternative zur Strategie der Bundesregierung, die auf Trial and Error beruht, weil nur so aus Fehlern zu lernen ist", meint Hans Christoph Buch zur deutschen Coronapolitik mit Versuch und Irrtum.
"Das tiefer liegende Problem aber ist die wachsende Diskrepanz zwischen Worten und Taten", schreibt der Schriftsteller in der NEUEN ZÜRCHER: "Verbote und Verhaltensregeln werden vollmundig verkündet, aber nur partiell umgesetzt, weil ihre Überwachung und Implementierung Polizei und Behörden überfordert."
Und wo bleibt das Positive? "Küsschen rechts, Küsschen links?", wagt der TAGESSPIEGEL schon mal einen Blick in zukünftige Zeiten ohne Masken. "Die Kultur kann beides", macht uns Christiane Peitz Mut. "Sie kann nach all dem social distancing die Nähe neu lehren und dem Vergessen Einhalt gebieten. Und sie kann Party feiern, als gäbe es kein Gestern."
Wir hoffen auf morgen.
Mehr zum Thema