Aus den Feuilletons

Theater ist zum Zerfleischen da

Leander Haußmann in einer Szene auf der Bühne.
Das Theater sei dafür da, sich zu suchen, zu finden, zu zerfleischen oder zu scheitern, sagt Regisseur Leander Haußmann in der SZ. © dpa / Jens Kalaene
Von Arno Orzessek · 13.12.2018
Intendant sei ein Scheiß-Beruf, erklärt Regisseur Leander Haußmann in der Süddeutschen Zeitung, auf die Frage, ob er nicht die Berliner Volksbühne leiten möchte. Mit 59 Jahren sei er zu alt. Daran sollten sich lieber junge Regietalente abarbeiten.
Beginnen wir mit einem dicken Lob für Deutschland, nachzulesen im Berliner TAGESSPIEGEL. "Über den Daumen ist das ein ganz geiles Land hier, in dem man gut zaubern kann. Die paar Sachen, die nicht in Ordnung sind, kriegen wir auch noch geregelt. Da muss mehr Klartext kommen, schnellere Behörden, schnellere Justiz. Vor allem aber muss man reden, damit nicht so ein Vakuum entsteht, in dem der braune Müll sich immer mehr ausbreitet"…

Deutschland - ein ganz geiles Land

Bemerkt im Berliner TAGESSPIEGEL der Politikberater Udo Lindenberg, der im Rahmen des Interviews auch ordentlich Werbung für sein neues Unplugged-Album "Live vom Atlantik" macht. Und wenn wir schon bei Plattenwerbung sind: In der TAGESZEITUNG bespricht Klaus Walter die Alben "Powerhouse" von Planningtorock und "Love, Loss and Auto-Tune" von Swamp Dogg. Nicht, dass wir Ahnung hätten vom Werk der genannten Künstler…

Geschlechtsumwandlung dank Beinrasur

Aber es geht dem TAZ-Autor Walter in seiner Kritik ums Verhältnis von Pop, Gender und Identitätspolitik, also um ein übergeordnetes Thema, und dem widmet er starke Worte. "Keine Kunst verhandelt so exzessiv Identitätspolitisches wie die Popmusik und eignet sich in den Psycho-Modi Adaption, Identifikation und Projektion so gut für identitätspolitischen Konsum. Wenn der Konsum einhergeht mit Ekstase und Rausch, lassen sich Identitäten switchen oder – mit David Bowie – ch-ch-changen. Pop verhandelt Coming of Age, Coming-out und Verwandlungen, Lou Reeds populärster Song ‘Walk on the Wild Side‘ erzählt von einer Bein-Rasur, nach der Er eine Sie ist […]." Und so weiter und so weiter. Wir sagen: Gut in Form ist er, der Pop-Kritiker Klaus Walter.

Weg mit schmutzigen Angewohnheiten

Ach ja, bevor wir die TAZ wieder zuschlagen: Lesenswert ist unseres Erachtens auch der Artikel "Barbaren mit Bremsstreifen". Aber vielleicht finden Sie ihn aus Gründen, die in wenigen Sekunden deutlich werden, an dieser Stelle nicht so hörenswert – deshalb hier nur die Unterzeile: "Warum wir an der schmutzigen Angewohnheit festhalten, Fäkalien mit einem Papiertuch abzuwischen, anstatt – von östlicher Weisheit inspiriert – uns sanft den Anus wässern und föhnen zu lassen."

Abgekupferte Gotik

Nun zu einer Frage, die von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG unter dem Titel "Gotik wie Chanel" aufgeworfen wird: "Wenn dieser Stil aus Frankreich kommt, warum sind die Deutschen dann darin so gut?" "Weil es in Deutschland nahezu keinen gotischen Neubau von Grund auf gibt, sondern alle Kirchen Vorhandenes umbauen oder in den neuen Formen auch Altes weiterführen [erklärt Stefan Trinks]. Und weil zum anderen zwar in der Blütezeit der Gotik alle Baumeister nach Frankreich schielen, aber doch eben nur sehr partiell Französisches zitieren. Man kann es sich vorstellen wie die Mode im Deutschland der Fünfziger: Dior und Chanel sind das bewunderte Vorbild, dem man sich in Schnitt und Eleganz der Kleidung weitmöglichst annähern will; dennoch wird etwas erkennbar Eigenes, Deutsches daraus." Übrigens: Stefan Trinks gewann seine Erkenntnisse in der Ausstellung "Der Paderborner Dom und die Baukultur des 13. Jahrhunderts in Europa".

Intendant ist ein Scheiß-Beruf

In puncto Theater sind die Deutschen auch nicht schlecht. Doch wer in Berlin die Volksbühne leiten soll, das ist ungewiss… Weshalb die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG den Regisseur Leander Haußmann fragt, ob der Job nicht etwas für ihn wäre. "Dazu fühle ich mich zu alt [antwortet Haußmann]. Außerdem ist Intendant ein Scheiß-Beruf. Wenn man mich fragt, komme ich gerne und mach’ was Schönes, aber nur als Gast, das Pferd draußen angebunden. Ich habe ein Interview mit jungen Frauen gelesen, die Regie an der ‚Ernst Busch‘ studieren. Eine 27-Jährige hat so geredet, dass ich dachte, die ist 45. Die haben alle eine klare Haltung. Warum holt man nicht diesen ganzen Schwung von jungen Frauen und sagt: Macht das jetzt mal! Dann sollen die sich suchen und finden und zerfleischen oder scheitern oder was auch immer. Dafür ist Theater da." Leander Haußmann in der SZ.
Und damit sind wir genau zum richtigen Zeitpunkt am Ende. Falls Sie uns dafür loben wollen, könnten Sie es mit einer SZ-Überschrift tun. Sie lautet:
"Das muss man erst mal hinkriegen."
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