Aus den Feuilletons

Staatsbegräbnis ohne Nationalität

Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl und die ehemalige Frauenministerin Angela Merkel (beide Deutschland/CDU) gaben sich während einer Sitzung des CDU-Parteiausschusses in Bonn 1992 die Hand
Helmut Kohl und die damalige Bundesfrauenministerin Angela Merkel im Jahr 1992 © imago/sepp spiegl
Von Ulrike Timm · 19.06.2017
In den Feuilletons wird spekuliert, wie wohl die Gedenkfeier für Helmut Kohl gestaltet wird. Die "Süddeutsche" fragt sich etwa, ob ein Festakt, der sowohl in Frankreich als auch in Deutschland stattfindet, überhaupt als Staatsakt bezeichnet werden kann.
"Eine Gedenkfeier im Europäischen Parlament in Straßburg, eine Fahrt zu Schiff mit dem Sarg den Rhein hinab nach Speyer, wo im Dom eine Totenmesse stattfinden soll: Die Umrisse des europäischen Staatsakts für Helmut Kohl, die derzeit diskutiert werden, wirken erhaben, einleuchtend und erstaunlich zugleich",
meint Gustav Seibt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Sie wären eine protokollarische Revolution – schon weil die Europäische Union ja kein Staat ist, und ihre Kommission keine "echte Regierung".
Darauf verweist auch die TAZ, sie betreibt "Wortkunde", notiert den Staatsakt lautsprachlich und setzt ihn in Klammern – Ist mit einem Staatsakt "Staat zu machen"? fragt Kathrin Müller-Lancé und wünscht sich so eine Zeremonie generell basisdemokratischer entschieden.
Denn dann würden – so die TAZ
"neben elitären Urgesteinen …vielleicht auch Bürgerrechtler, Opfer von Flucht und Vertreibung und viele andere, leisere Persönlichkeiten geehrt…Das klingt utopisch? Nicht unbedingt! Schon einmal in der deutschen Geschichte setzten die Bürger eine Art Staatsakt durch: Die Märzrevolutionäre zwangen den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. 1848 dazu, den getöteten Demonstranten Ehre zu erweisen. Und der verneigte sich dann tatsächlich vor den 'Märzgefallenen', ehe sie beerdigt wurden"
Das ist schon eine ganze Weile her. Verkürzt dafür aber den Abstand zum musikalischen Heroen des Jahres, Claudio Monteverdi. Vor 450 Jahren geboren, bekam er, als er in Venedig 1643 starb, zwar keinen Staatsakt, aber immerhin gleich zwei prunkvolle Totenfeiern in ein und derselben Kirche,
"mit Fackeln, die den Sternenhimmel imitierten, in den der Maestro des Markusdoms aufgestiegen war. A star was born."

Verneigung vor Monteverdi

Das lesen wir in der WELT, und vermuten mal, dass die "taz"-Kollegin das vielleicht auch als Staatsakt durchgehen lassen würde.
Dirk Schümer berichtet voller Begeisterung über die drei ensuite aufgeführten Monteverdi-Opern durch John Eliot Gardiner.
"Was er heuer in einer großen Welttournee vorstellt und in Venedig erstmals vollständig zeigt, ist nicht weniger als die Summe eines musikalischen Lebenswerkes – und eine würdige Verneigung vor Monteverdi."
John Eliot Gardiner und sein Ensemble brechen mit den drei berühmten Monteverdi-Opern von Venedig aus zu einer Globalgeburtstagsfeier auf, musizieren sie "von Salzburg bis Berlin, von Edinburgh bis Paris, von Lucerne bis Chicago und New York".
Das klingt so ausufernd und verlockend wie anstrengend – und stellt womöglich jedweden Staatsakt auf seine Weise in den Schatten.

Blick auf Fete de la Musique

Von Musik ist überhaupt viel die Rede in den Feuilletons, wohl schon mit Blick auf die Fete de la Musique, die seit 1982 zum Sommeranfang in über 540 Städten gefeiert wird, umsonst und draußen. Nur zweimal sei man in Berlin dabei regelrecht "abgesoffen", erzählt Simone Hofmann der TAZ, "aber dann rennen die Leute halt mit dem Regenschirm durch die Gegend."
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG gehen Bassekou Kouyaté, Joachim Kühn und Corey Harris den afrikanischen Wurzeln des Blues nach, und nach lebhaftem Pingpong der drei Musiker zieht Corey Harris dieses Fazit:
"Wichtig ist nur, dass man Blues oder Jazz nicht zu etwas Heiligem überhöht, mit Regeln, denen sich die Menschen unterwerfen müssen. Der Blues sollte vielmehr den Menschen Raum dienen – ihnen Raum geben für ihre Widerstands-Geschichten."
Also gute Musik aber bitte keinen Staatsakt drumrum machen…
Die NZZ lädt derzeit Autoren ein, sich über das Ende der Schweiz Gedanken zu machen. Oder doch wenigstens über die Schweiz im Jahr 2050. Die Schriftstellerin Monique Schwitter fabuliert von rollstuhlgerecht erschlossenen Bergen, Seen mit Geländer und Videoüberwachung, und einer professionellen "Beischläferin" – so heißt das wirklich – die der Chose immerhin zu einer schicken Überschrift verhilft:
"Der letzte kleine Tod, der muss knallen". Ansonsten können wir diese ziemlich triste Utopie nur noch mit einer Überschrift toppen, die wir der SZ entlehnen:
"Der Sex fällt aus".
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