Aus den Feuilletons

Späte Ächtung Michael Jacksons

04:16 Minuten
Blick in die Ausstellung "On the Wall" über Michael Jackson im Grand Palais Museum in Paris
Die Ausstellung „On the Wall“ über Michael Jackson im Grand Palais Museum in Paris. Ab 22. März ist sie in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen. © dpa / MAXPPP / Thomas Padilla
Von Arno Orzessek · 06.03.2019
Audio herunterladen
Gegen Michael Jackson werden neue Missbrauchsvorwürfe erhoben. Nun wundert sich die "Süddeutsche Zeitung“, wie sein skandalöses öffentliches Gebaren als Superstar-Spleen durchgehen konnte und die Öffentlichkeit bereitwillig "hinwegsah".
Vielleicht haben Sie davon gehört: Anfang der Woche hat der US-amerikanische Pay-TV-Sender HBO die Dokumentation "Leaving Neverland" ausgestrahlt. Darin behaupten zwei Männer, sie seien als kindliche Gäste auf der Neverland-Ranch von Michael Jackson sexuell missbraucht worden. Radiostationen in Großbritannien, Niederlande, Norwegen und Kanada haben daraufhin Jackson-Titel aus ihren Programmen verbannt - oder denken laut darüber nach, es zu tun.

Michael Jackson als Avatar seiner selbst

"Thriller" heißt nun der Artikel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, in dem Bernd Graf mit Blick auf Jackson fragt: "Warum ächtet ihn die Weltöffentlichkeit erst jetzt?" Eine klare Antwort gibt Graf nicht. Sein Rückblick auf die Zeit, in der viele Fans dem King of Pop blind gehuldigt haben, erscheint uns indessen stimmig:
"Selbst das skandalöseste öffentliche Gebaren des Superstars - er hielt in Berlin einmal sein Baby über die Brüstung eins Hotelbalkons - wurde zu seinen Lebzeiten notiert, aber auch schnell als Schrulle, als Spleen verbucht: Superstar-Allüren halt. Sein abstruses Verhalten, seine skurrile Knabenliebe passten zum Mann wie seine allmähliche plastisch-chirurgische Verlurchung, die ihn immer mehr in einen Avatar seiner selbst verwandelte. Alles war egal, wurde ihm schnell verziehen, solange seine immer Atem raubende Show stimmte. Ja, man war damals so besoffen von der Michaelmania, dass man bereitwilligst über das Offensichtliche hinwegsah."
Bernd Graf in der SZ.

Larmoyante und Ich-zentrierte weiße Männer

Michael Jackson war ein farbiger Mann, der offenbar gern weiß gewesen wäre. Ein Problem, dass die Protagonisten des Buches "Alte weiße Männer" von Sophie Passmann naturgemäß nicht haben. Nur, wer sind diese Männer eigentlich? Passmann hat 16 Exemplare der Spezies interviewt, darunter den nicht allzu greisen Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, den Politikwissenschaftler Werner Patzelt und den Ex-Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. Das Ergebnis findet Nadia Shehadeh so wenig erhellend, dass sie in der TAGESZEITUNG Passmann und deren Buch munter runter macht:
"In den Gesprächen wird ganz viel White-Male, also Weißer-Mann, -Versteherei praktiziert, so wie es tagtäglich Usus ist in einer patriarchalen und rassistischen Gesellschaft - was anderes kann das Setting der ganzen Interviews auch nicht hergeben: Über ein dutzend Mal höfliches Geplänkel zweier weißer Angehöriger des Bürgertums. Ganz viel geht es um gefühlte Ungerechtigkeiten oder gefühlte gesellschaftliche Fortschritte, kurzum: Larmoyantes, Ich-zentriertes und teilweise drolliges Geschwafel, das die extralangweilige Dosis aus Unwissenheit und 'eigentlich wollen alle ja nur dasselbe' vereint. Frech ist an diesem Buch nichts, außer vielleicht, dass es nun eben existiert."
Backpfeifen, und zwar mit Schmackes, von der TAZ-Autorin Shehadeh für die Buch-Autorin Passmann.

Der Tatort und die Genderfragen

"Wie leben sie denn so?" lautet die Frage, die der Berliner TAGESSPIEGEL mit Blick auf die Kommissarinnen im "Tatort" stellt. Barbara Sichtermann, deren profunde Kenntnisse auf bedenkliche "Tatort"-Sucht schließen lassen, klopft das Krimi-Format in "Bezug auf brennende Genderfragen" ab - und resümiert: "Das Leben bestraft ehrgeizige Frauen immer noch und immer wieder mit Ehekrisen und Betreuungsnöten, insofern ist der 'Tatort' nah dran an den Realitäten. Was den Zuwachs an Glück betrifft, den die Emanzipation ja bringen soll, so braucht man das Szenario nur umzukehren. Der Kampf für die Gerechtigkeit, die Jagd nach den Bösen, die ganze Verantwortung, die damit zusammenhängt, inklusive der häuslichen Krisen, die daraus folgen - da dazuzugehören als Frau und nicht ständig befragt zu werden: Kann die das auch? Das ist es schon, das Glück."
Barbara Sichtermann im TAGESSPIEGEL, der unter der Überschrift "Zweite Reihe, erste Geige" auch über erfolgreiche Frauen im Mittelbau der Berliner Kultur berichtet.
Die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG jedoch motzt: "Hört auf mit dem Frauenzählen. Quoten sind Ausdruck paternalistischen Denkens." So, damit sind Sie ein bisschen vorbereitet auf den internationalen Frauentag am Freitag.
Wenn Sie übrigens unser Gesicht sehen könnten, dann sähen Sie jetzt darin, mit einer Überschrift der NZZ: "Das Lächeln des Gentlemans".
Mehr zum Thema