Aus den Feuilletons

Sophie Scholl auf Instagram

04:15 Minuten
Ein Graffiti von den Widerstandskämpfern Sophie und Hans Scholl.
Zum 100. Geburtstag omnipräsent: Sophie Scholl, hier als Graffiti mit Bruder Hans. © IMAGO / imagebroker
Von Arno Orzessek · 07.05.2021
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Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl gibt es die Widerstandskämpferin auf Instagram. Auch wenn dadurch junge Leute angesprochen werden, ist die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" gar nicht begeistert. Das sei keine seriöse Würdigung.
"Wir sind ja nur ein kleiner Punkt im Weltall. Aber das Leben ist schon ein schönes. Und ich finde es schön, dass unser Gehirn uns erlaubt zu sehen, dass es schön ist." So die 20-jährige Zeichnerin und Autorin Ambra Durante in einem Doppel-Interview mit der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, deren zweiter Gesprächspartner Daniel Kehlmann ist.
Es geht recht locker um "Erfolg, Misserfolg und das Glück beim Schreiben eines Buches". Einmal jedoch wird Durante fuchtig.
"Das ist der schlimmste Gedanke: Was denken die anderen? Ich hasse diesen Gedanken. Daraus wird nie was. Das ist nicht ehrlich. Und das will auch kein Mensch sehen. Die Leute wollen das, wovon sie noch nicht wissen, dass sie es wollen. Das Unerwartete. Das, was ihr Unterbewusstsein will. Aber sie selber wissen nicht, was ihr Unterbewusstsein will. Deshalb ist es ja das Unterbewusstsein."
Mit solchem, fast nebensatzfreiem Drive kann der Erfolgsautor Kehlmann dem SZ-Publikum nicht dienen. Wohl aber mit einem Bekenntnis – als Kathleen Hildebrand nämlich wissen will, ob er auch schon mal gescheitert sei.
"Klar", entgegnet Kehlmann. "Ich habe zum Beispiel einen langen Roman fertig geschrieben, den Thorsten Ahrend bei Suhrkamp damals abgelehnt hat. Er schrieb ein Fax, das fing an mit: 'Lieber Daniel, ich bin entsetzt.' Das war furchtbar, wirklich schrecklich. Als ich es viel später noch mal gelesen habe, musste ich sagen: Er hatte recht."

Der alte Mann und das Ende der Geschichte

Einsichtig: Daniel Kehlmann. Die Tageszeitung DIE WELT unterredet sich mit Francis Fukuyama. Und wir sagen jetzt nicht: Das ist der berühmte Politologe, der "Das Ende der Geschichte" veröffentlicht hat.
Erstens wissen Sie das selbst, zweitens müssten wir dann mantra-mäßig hinzufügen, dass Fukuyama in besagtem Buch keineswegs das Ende der Geschichte verkündet, was vielen von Ihnen, drittens, vermutlich auch bekannt ist.
Neuigkeitswert hat jedoch die Antwort Fukuyamas auf die Frage von Cigdem Toprak, ob er schon mal als "alter weißer Mann" bezeichnet wurde.
"Das ist etwas, das mich irritiert. Asiatische Amerikaner werden auf zwei komplett unterschiedliche Weisen behandelt: Oft sehen sie sich selbst und werden von anderen als People of Color gesehen und sind deshalb rassistischer Diskriminierung ausgesetzt. Aber ich war letztens auf einem Panel, bei dem ein afroamerikanischer Teilnehmer mir sagte: 'Sie sind ein guter Weißer.' Man muss sich entscheiden, entweder sind US-Asiaten Teil einer privilegierten Gruppe oder Teil einer marginalisierten Minderheit. Und das zeigt, dass diese binären Kategorien einfach nicht adäquat sind. Es gibt viele unterschiedliche Formen von Diskriminierungen. Es ist wichtig, dass wir uns auf die schwerwiegenderen fokussieren." Francis Fukuyama in der WELT.

Lieber Follower als Content

Sophie Scholl gehörte einst zu der winzigen Minderheit, die Widerstand gegen die Nazis geleistet hat – und bezahlte mit ihrem Leben.
Anlässlich ihres 100. Geburtstags haben der Südwestrundfunk und der Bayerische Rundfunk das Instagram-Projekt @ichbinsophiescholl entwickelt, das Scholl als Bloggerin verlebendigen soll.
Die FRANKURTER ALLGEMEINE ZEITUNG findet das nicht gut. "Um eine angemessene, seriöse historische Würdigung Sophie Scholls und der Gruppe geht es dort nicht", mäkelt Heike Hupertz, "auch nicht um die Absicht der Überbrückung der geschichtlichen Distanz für junge Menschen. Instagram – so betonen die Macher – sei eben inzwischen auch die 'Weltbühne des Aktivismus'. Als Aktivistin habe Sophie Scholl Relevanz und sei ein Vorbild für 'Kämpfe gegen Rassismus, Klimakatastrophe und für mehr Gleichberechtigung'. Sophie Scholl, die bekannte Heldinnen- als Identifikationsgeschichte. Social Media heißt das Zauberwort. Wichtiger noch als Content sind Follower. Das Anfangsvideo hatte 1,7 Millionen Abrufe. Mission erfüllt – fragt sich nur, für wen."
Die SZ beurteilt den Scholl-Hype insgesamt gnädiger: "Sophie Scholl als Idol und Kultfigur: Das ist trotz mancher Auswüchse ein Fortschritt für das Verständnis des Widerstands gegen die NS-Diktatur."
Und was machen Sie am Wochenende? Machen Sie doch etwas, von dem Sie – mit einer Überschrift des Berliner TAGESSPIEGEL – sagen können: "Das mach ich nur aus Liebe."
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