Aus den Feuilletons

Sloterdijk und der Krieg der Kulturen

Der Philosoph Peter Sloterdijk sitzt am 21.05.2016 in Köln (Nordrhein-Westfalen) bei der Vorstellung seines Romans "Das Schelling-Projekt" im Rahmen des Philosophie-Festivals phil.cologne auf dem Podium.
Der Philosoph Peter Sloterdijk © dpa / Henning Kaiser
Von Hans von Trotha · 09.04.2018
Christian Geyer setzt sich in der "FAZ" mit Peter Sloterdijk auseinander und zwar mit einem Text, den der Philosoph für die "NZZ" geschrieben hat. Der Philosoph gebe dort philologische Enthemmungen als politische Analyse aus: das sei Panikmache.
Es gibt Dinge, da staunt sogar der Feuilletonist. Christian Geyer "staunt" zum Beispiel in der FAZ "nicht schlecht", wie Peter Sloterdijk eine "medieninduzierte ... wachsende Irritabilität", die er gerade erfunden hat, in eine "Kulturgeschichte des Gleitens" überführen zu können meint.
Gerhard Matzig kommt in der SÜDDEUTSCHEN gar "aus dem Staunen kaum heraus", wie München gerade den Anspruch loswird, "einen der hässlichsten Plätze der Welt zu beherbergen".
Und der Schriftsteller Ilja Trojanow, der 1971 aus Bulgarien nach Deutschland floh, belässt es nicht beim Staunen, er findet es "völlig unverständlich ..., wieso sich eine Reihe von Intellektuellen ... ohne genaue Kenntnis der Materie hinter (Julia) Kristeva stellt, so als wäre es eine Petitesse, dem brutalen Unterdrückungsapparat eines totalitären Regimes zugearbeitet zu haben."

Ilja Trojanow über Julia Kristeva

Fangen wir hinten an: Die Philosophin Kristeva soll für den Bulgarischen Geheimdienst gespitzelt haben. Das soeben veröffentlichte Dossier sei, so Trojanow, "gesäubert worden ... So (könne) man mit einem Blick erkennen, dass gewisse Seiten fehlen, weil zum Beispiel die heutige 66 einst die 172 war."
Trojanow staunt zudem, dass Kristeva "auch über bulgarische Emigranten in Paris berichtete ..., was", wie er betont, "nicht leicht gewesen sein kann, denn Letztere misstrauten all jenen, die offiziell aus dem kommunistischen Bulgarien ausgereist waren und sich in ihren Äußerungen mit Kritik am dortigen Regime zurückhielten."
Nicht erstaunlich findet Trojanow hingegen, dass Frau Kristeva alles abstreitet und behauptet, "jemand" wolle ihr schaden. "Das", so Trojanow, "darf uns nicht überraschen. Das Gegenteil wäre verblüffender", meint er. Es sei "so gut wie nie vorgekommen, dass ehemalige Zuträger, Spione oder Denunzianten ihre Schuld eingestanden haben. Zuerst wird alles abgestritten und von einer Fälschung gesprochen; wenn die Beweislage überwältigend ausfällt, wird behauptet, man habe niemandem geschadet ... Dann folgt lebenslanges Schweigen.
"Als Psychoanalytikerin", fügt Trojanow hinzu, "müsste Frau Kristeva ein besonderes professionelles Interesse an diesen Phasen der Leugnung haben."

An Giftigkeit kaum zu überbieten

Nicht mit einem psychoanalytisch argumentierenden, dafür mit einem (Zitat) "philologisch dauererregten" Philosophen haben wir es laut Christian Geyer bei Peter Sloterdijk zu tun. In der FAZ zitiert er, was der in der NZZ geschrieben hatte, nämlich Sätze wie:
"Ich bin sicher nicht der Einzige, der den Eindruck hat, wir hätten seit einigen Jahren einen veränderten Aggregatzustand der medieninduzierten Aufgeregtheit erreicht."
Und: "Ich hege den Verdacht, dass es einen Mechanismus gibt, der das ganze diskutierende System in eine erhöhte Nervosität hineintreibt – nennen wir ihn das Gesetz der wachsenden Irritabilität."
Und jetzt Geyer gegen Sloterdijk: Der, so Geyer, "dampfplaudert den Bürgerkrieg der Kulturen ... erst herbei, den er zu beschreiben vorgibt. ... Dieser Panikmacher lässt sich an Heftigkeit und Giftigkeit seiner Invektiven journalistisch kaum überbieten, wenn er philologische Enthemmungen ein ums andere Mal als politische Analyse ausgibt.
Mit anderen Worten: Wenn es über die Zeiten hinweg eine medieninduzierte Aufgeregtheit gibt, dann, weil sich immer wieder ein Typus Sloterdijk findet, dessen endogene Aufgeregtheit sich öffentlich verstärken lässt. "In diesem Sinne lässt sich", so Geyers Fazit, "'medieninduziert' typologisch auch als 'sloterdijkinduziert' verstehen."

Was zum Staunen

Das scheint dann doch irgendwie schon an das "Wunder der Sinnlosigkeit" zu grenzen, das Gerhard Matzig in der SÜDDEUTSCHEN Staunen macht, während er einen "auf mehr als zwanzig Meter hohen, extrem schlanken Stützen ruhende(n) ... Portikus rühmt, der "als Säulengang" neuerdings den Münchener Willy-Brandt-Platz begrenzt:
"Wer sich", so Matzig, "nun über den einst so depressiv verstimmenden, grandios falsch ... orientierten, monumental überdimensionierten Platz bewegt, der kommt aus dem Staunen kaum heraus. So einfach lässt sich also eine Wunde heilen. Mit Hilfe der Architektur einerseits – und mit dem Wunder der Sinnlosigkeit andererseits."
Denn der Portikus hat keinerlei Funktion. Selbst die eh eher dünne Idee "Jogging in luftiger Höhe" wurde aus Sicherheitsgründen kassiert
"Jetzt", erklärt uns Matzig, "ist der Willy-Brandt-Platz in München zwar immer noch kein richtig angenehmer Ort (denn er ist immer noch der Deckel einer Tiefgarage) – aber München hat hier nun ein Lehrbeispiel für den größten Sinn der Raumkunst zu bieten: sinnvoll sinnlos zu sein."
Und wir haben was zum Staunen.
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