Aus den Feuilletons

Sieben Wochen lang keine Termine

Das Cafe Griensteidl in Wien: In dem legendären Wiener Kaffeehaus trafen sich um 1890 die Dichter Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, der Kulturkritiker Karl Kraus, der Architekt Adolf Loos und der Revolutionär Leo Trotzki.
Das Wiener Kaffeehaus Griensteidl © picture-alliance/ dpa
Von Arno Orzessek · 05.11.2017
Die Wiener Kaffeehauskultur ist ein gutes Mittel zur Entschleunigung. Der deutsche Kaffee aber hat einen schlechten Ruf. Kevin Spacey jetzt auch. Aber wie konnte es dazu kommen?
"Keine Hektik" - titelt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG – und daran wollen wir uns heute halten.
Schlagen wir also zunächst mit dem SZ-Rezensenten Peter Münch "Im Kaffeehaus" auf, ein Buch des Fotokünstlers Sepp Dreissinger mit Bildern und Gesprächsprotokollen zur Wiener Kaffeehaus-Kultur. Ohne die Fotos gesehen zu haben, reizt uns das Werk schon allein aufgrund der Sentenzen, die Münch daraus zitiert. Der Zirkusdirektor Bernhard Paul etwa lästert über den deutschen Kaffee: "Der ist nicht schwach, der ist hilflos, dem muss man aus der Kanne helfen."
Vom König der gepflegten Gehässigkeit, Thomas Bernhard, stammt der Spruch:"Da kommt man irgendwo hin, lauter Nazis stehen herum und sagen: Nixtuer, im Kaffeehaus sitzen und nix arbeiten."
Und der Schriftsteller Robert Menasse fordert, was im Smartphone-Zeitalter zur verblasenen Utopie wurde: "In einem Kaffeehaus muss eine Atmosphäre herrschen, als hätte man in den nächsten sieben Wochen keinen Termin."
Tun wir so, als ob wir in einem solchen Kaffeehaus säßen, und schlagen die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG auf. "Die Erfahrung der Schönheit öffnet Augen in uns, von denen wir nichts wussten. Das kann ins Verderben führen", behauptet Peter von Matt.

Skandal in den Geschichten über die Gewalt der Schönheit

Der Germanist und Autor blättert gemütlich in alten Texten – von Goethes Gedicht "Der Fischer" bis zu Brentanos "Lore Lay" - und stellt fest:
"Oft genug löst allein schon das Bild einer schönen Frau das Wagnis auf Tod und Leben aus. Das ist der eigentliche Skandal in den Geschichten über die Gewalt der Schönheit. Sie kehrt die geltenden Werte um. […] Einen Augenblick lang diese Schönheit geschaut, und die ganze Welt hat einen neuen Mittelpunkt, das Dasein nur noch einen Sinn. Man kann sagen, das seien Männerphantasien, aber wenn man so argumentiert, drückt man sich mit einem psychologischen Trick vor dem Nachdenken über die Dämonie der Schönheit."
So – und jetzt müssen wir doch hinaus ins raue Leben. Denn von 'Schönheit' und 'Männerphantasie' ist es nicht weit zur, Sie ahnen es, Sexismus-Debatte.
Der Berliner TAGESSPIEGEL interviewt Bernd Moszkowicz, den Chef von Constantin Film – dem Unternehmen, das von "Der Untergang" bis "Fack you Göthe" so einiges in die Kinos gebracht hat.
Seltsamerweise fragt der TAGESSPIEGEL den USA-Kenner Moszkowicz nicht nach Kevin Spacey, der aktuellen Nr. 1 im Welt-Ranking illustrer Missetäter, sondern noch einmal nach dem gefallenen Produzenten Harvey Weinstein.
"Jeder einzelne Fall ist furchtbar, [so Moszkowicz], aber hier wurde Machtmissbrauch zum System. Es ist völlig unverständlich, wieso diese Vorgänge so lange unter den Teppich gekehrt wurden. Gleichzeitig gilt: Für strafrechtlich relevantes Handeln ist der Staatsanwalt zuständig, nicht die sozialen Netzwerke oder die Medien."
Was natürlich nichts daran ändert, dass die Medien ein wesentlicher Faktor sind, wenn es um Täter-Beschämung geht.

Wann kann man von Sexismus sprechen?

Die SZ etwa widmet dem Fall des erwähnten Kevin Spacey mehr als eine halbe Seite, für die Alexander Menden, Jürgen Schmieder und David Steinitz verantwortlich zeichnen.
Es ist nicht schwer zu erraten, welche Frage sie umtreibt – nämlich:"Alle wenden sich jetzt von […] [Spacey] ab. Wie aber konnte er in Hollywood und London über Jahre ungestört Männer belästigen?"
Offenbar haben die in der Unterhaltungsbranche besonders strikten Arbeitsverträge inklusive Verschwiegenheitsverpflichtungen das ihre dazu getan. Aber letztlich läuft auch der SZ-Artikel auf eine Erkenntnis hinaus, die im gegenwärtigen Aufklärungsfieber etwas unwirklich wirkt: Es waren andere Zeiten.
Ach ja, in der TAGESZEITUNG grübelt Friedrich Küpperbusch:
"Ist es Sexismus, wenn zwei Frauen – Merkel und von der Leyen – unsere Jungs an ein Dutzend Kriegsschauplätze schicken? Plädiere für #differenzierung."
So viel für heute.
Wir wünschen Ihnen, dass Ihre Woche genau so wird, wie es eine SZ-Überschrift beschwört – nämlich: "Einsame Spitze."
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