Aus den Feuilletons

Sex als sprachliche Herausforderung

Eine Frau liegt mit offenen Augen im Bett. Ihr Mann daneben schläft tief.
Fragen, die das Feuilleton beschäftigen: Heißt es 'Sex haben' oder 'Liebe machen'? © imago/Ikon Images, Colin Elgie
Von Arno Orzessek · 16.01.2019
"Sex haben" - seit wann nutzen wir eigentlich diese Formulierung? Dieser Frage geht die "Süddeutsche Zeitung" nach. Die "Zeit" wiederum beklagt die "altherrengeile Reduktion der Frau auf ihre drei Öffnungen" in Michel Houellebecqs Roman "Serotonin".
Tatsächlich erzählen auf der SZ-Seite sieben Übersetzerinnen und Übersetzer allerlei Interessantes aus ihrer alltäglichen Arbeit, doch das Sprach-Problem mit dem "Sex haben" kommt nur in einer Klammer des Beitrags von Isabel Bogdan vor. Als Bogdan nämlich gemeinsam mit Ingo Herzke "Miss Blackpool" von Nick Hornby übersetzt hat, beschied ihr Herzke auf Nachfrage am Telefon: "Nein, 1964 hat man noch nicht 'Sex haben' gesagt."

Kritiker zu läppisch mit Houellebecq

Ob nun 'Sex haben' oder 'machen': Michel Houellebecq beschreibt die Sache gern in ungeschminkt-chauvinistischer Manier. Doch noch mehr als darüber regt sich Adam Soboczynski in der Wochenzeitung DIE ZEIT über die läppischen Reaktionen der Kritiker auf. "Houellebecq ist im Freihandel der journalistischen Worte nun mal eine besonders leckere, gut verkäufliche Delikatesse, von der man auch in Zukunft noch ein bisschen zehren will. Da muss man es mit der Moral auch nicht mehr so übertreiben […]. Und der journalistisch marktförmige Feminismus würde ja auch ein bisschen spießig wirken, wenn die altherrengeile Reduktion der Frau auf ihre drei Öffnungen in Houellebecqs Roman als anrüchig gebrandmarkt werden würde. Da feiert man [das neue Werk] 'Serotonin' lieber als eine 'Metaphysik der Muschis', ([so in der] Welt)."
Für Soboczynski ist Houellebecq im übrigen ein ausgemacht "rechter Denker". Und wer das aus "Opportunismus" verschweigt, lädt Verantwortung auf sich, meint Soboczynski. Denn so mache man "rechtes, antiliberales Gedankengut salonfähig".-

Offenherzige Erinnerungen von Claus Peymann

Wir lassen die ZEIT aufgeschlagen und empfehlen allen Freunden und Feinden des Theatermachers Claus Peymann dessen offenherzige Erinnerungen an die Arbeit mit dem Regisseur Einar Schleef.
"Wenn Schleef mir alle drei Tage mit dem Abbruch der jeweiligen Produktion drohte, habe ich gesagt: 'Okay. Dann machen wir diese Scheiße eben nicht. […] Gehen Sie doch zum Teufel!' Diese Verhaltensweise folgte einem Rollenklischee, das Schleef auch auf mich projizierte: Peymann, das ist der autoritäre König des Theaters. Wenn Schleef brüllte, habe ich zurückgebrüllt, manchmal lauter als er – was gar nicht so einfach war. Er war verblüfft, dass ich ihn nicht gebeten habe weiterzumachen […], sondern zum sofortigen Gegenangriff ansetzte. Das hat ihn dann wiederum in den 'Gegenangriff' geführt – und er hat weitergearbeitet. Die Inszenierung war gerettet – bis zum nächsten Krach!"

Takis Würgers Roman "Stella" will nur "krass sein"

Sandkasten-Spiele der Hochkultur, erklärt von Claus Peymann in der ZEIT. In der Antonia Baum mit Takis Würgers Roman "Stella" abrechnet. "Dieser Text hat keine Dringlichkeit außer den Willen zur Größe. Dieser Text will absolut nichts außer krass sein, und dafür nimmt er sich die krassesten Porno-Zutaten: Nazis, SS-Uniformen, eine schöne jüdische Frau, die Juden verrät, Drogen, das Versprechen von Sex, Grandhotels, Berlin im Krieg – geil. Darüber kann man zwar keine Reportage mehr schreiben, aber Roman läuft natürlich." Wuchtig, sarkastisch, ätzend: Antonia Baums Verriss von Takis Würgers Roman "Stella" in der ZEIT.

Moderner Ablasshandel

Ebenfalls prima in Form zeigt sich die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG. "Nur kein schlechtes Gewissen! Kaufen Sie sich ein CO2-Zertifikat. Mit Ablass ist sündigen noch schöner", lautet die Unterzeile eines Artikels, in dem der Historiker Volker Reinhardt den mittelalterlichen Ablasshandel mit heutigen Gewissensberuhigungs-Praktiken vergleicht. Und dabei den fröhlich-frivolen Ton besagter Schöner-Sündigen-Unterzeile beibehält, was im Rahmen des oft gediegenheitsverliebten NZZ-Feuilletons richtig grell klingt.
Apropos gediegen: "Ideologie, Nationalismus und Religion: Das Denken in Gruppen spaltet im 21. Jahrhundert die Gesellschaft", konstatiert Thomas Wagner in selbiger NZZ und empfiehlt als Gegengift den kosmopolitischen Humanismus von Karl Jaspers. Aber bitte, um die Einzelheiten müssen Sie sich selbst kümmern! Uns bleibt nur noch der Atem für ein schmuckloses 'Tschüss und auf bald'!
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