Aus den Feuilletons

Schulen müssen Kopftuch-Streit ausbaden

Eine junge Frau mit Kopftuch, die Klägerin, läuft am 24.09.2014 in Erfurt (Thüringen) am Behördenschild mit der Aufschrift "Bundesarbeitsgericht" vorbei.
Das Tragen des Kopftuches gehört zu den am häufigsten diskutierten Symbolen islamischen Glaubens. © picture alliance / dpa / Martin Schutt
Von Paul Stänner  · 15.03.2015
Zwei muslimische Frauen haben beim Bundesverfassungsgericht das Aus für ein Kopftuchverbot an öffentlichen Schulen erreicht. Die "FAZ" moniert den sozialen Druck, der auf vielen Musliminnen lastet, und mahnt zu Solidarität. Die weiteren Themen der Kulturpresseschau: die Leipziger Buchmesse und Griechenland.
Liebe Hörerin, lieber Hörer - können Sie sich aus dem Griechischunterricht noch an das Wort Kalokagathia erinnern? Damals, als es um philosophische Ideale ging? Kalokagahtia! Ich gebe ihnen noch ein bisschen Zeit, ich fang mit Leipzig an.
Die Buchmesse ist Geschichte. Die Verlage räumen ihre Stände ab und die Kohorten von Jugendlichen, die sich schön als Trolle, als Krieger, als Fellwesen aus der Mangawelt verkleidet hatten, haben sich abgeschminkt und geduscht.
Für die WELT hat Marc Reichwein ein Meet&Greet der Amazon-Selbstverleger in Amazons gigantischen Leipziger Hallen besucht. Reichwein ist verblüfft, dass die Autoren so locker mit ihren Einnahmen rüberkommen, aber das Selbstbewusstsein hat eine Quelle, denn Reichwein schreibt:
"Der Clan der Lieblingsautoren (also der Bestseller unter den Selbstverlegern) kommt mit seinen Büchern auf Verkaufszahlen von sechs Millionen. Das sind kritische Massen, auf die jetzt auch verstärkt die etablierten Verlage aufmerksam werden."
Wenn schon keine neue Literatur, so scheinen die Selbstverleger doch immerhin eine neue Goldgrube entdeckt zu haben.
In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG schreibt Alex Rühle über "Massenverschickungswaffen". Die griechischen Politiker, die ihren europäischen Nachbarn mit einer Flut von Asylanten gedroht hatten, wenn sie nicht willfährig seien, haben diese Form der Erpressung nicht erfunden. Rühle zitiert Gaddafi und den haitianischen Präsidenten Aristide und er vergisst nicht Deng Xiaoping, der sich nach einem Menschenrechtsvorstoß von Präsident Carter erkundigte, wie viele Chinesen mit Reisefreiheit er, Carter, denn möchte: Eine Million? Zehn Millionen? Dreißig? - Carter verstummte. Rühle rechnet hoch: Würden die Griechen die Grenzen niederreißen, würde Europa sie weiter westlich wieder aufbauen. Griechenland müsste den Schengenraum mit seiner Reise- und Niederlassungsfreiheit verlassen - Rühle:
"Was wiederum einen ganz anderen Flüchtlingsstrom in Gang setzen würde. Die Griechen selbst würden ihr Land in Scharen verlassen."
Wir rechnen noch höher: Merkel könnte ihrerseits Tsipras mit einer Auswanderungswelle drohen. Womit würde der dann wieder drohen? Das würde ein Pingpong-Spiel mit Millionen - Menschen diesmal, nicht Euro.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Die Folge einer anderen Wanderbewegung ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein generelles Kopftuchverbot für Lehrerinnen untersagte. In der FAZ moniert Regina Mönch, das Verfassungsgericht habe den Streit, welcher Islam zu Deutschland gehöre, der strenggläubige oder der liberale, - Zitat -
"ausgerechnet in jenen Teil des öffentlichen Raumes verlegt, in dem gerade nicht offen und fair und folgenlos darüber gestritten werden kann: in die Schulen."
Und weiter schreibt sie:
"Es ist ein sozialer Druck, der vor allem auf den Mädchen und Frauen in vielen muslimisch geprägten Viertel lastet. Wer sich entziehen kann, wird das tun und weggehen. Wer bleiben muss, kann nur auf Solidarität hoffen. ... Und die Segregation wird noch einmal zunehmen ... "
Dass ein unschönes Wort wie "Segregation" in den deutschen gesellschaftlichen Diskurs aufgenommen wurde, hätte eigentlich nicht sein dürfen.
In der Neuen Zürcher Zeitung schreibt Wolfgang Ulrich - er ist Professor für Kunstwissenschaft in Karlsruhe - über Schönsein als Kulturtechnik. Am Aussehen wird gearbeitet, mit eigener Kraft im Fitnessraum oder mit dem Können der Chirurgen.
Ulrich resümiert und verwirft die gängigen Vorurteile an der einen wie der anderen Methode und verweist auf das alt-griechische Ideal der Kalokagathie - und inzwischen ist es Ihnen wieder eingefallen - genau, das ist - kalos kai agathos - die "Einheit des Schönen und des Guten", des gebildeten Körpers und des gebildeten Geistes. Und Ulrich - da sind wir ganz bei den alten Griechen - weist darauf hin, dass bei heutigen Casting-Shows die Models nicht nur schön sein, sondern auch eine Geschichte erzählen müssen. Es verkündet Ulrich:
"Schönheit allein bietet zwar zu wenig Stoff für die omnipräsente Medienwelt, aber dennoch ist sie unabdingbares Element einer Eventkultur"
- und das enthält die ultimative Drohung an alle Selbstoptimierer im OP oder in der Muckibude: Schön sein müssen wir alle, aber "schön sein" allein reicht nicht - man muss auch erzählen können, was Kalokagathia heißt.
Mehr zum Thema