Aus den Feuilletons

Schöne neue Welt

04:21 Minuten
Der echte Will Smith und sein digitaler Clon.
Der echte Will Smith und sein digitaler Clon. © imago images/Prod.DB
Von Tobias Wenzel · 03.10.2019
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In Ang Lees Science-Fiction-Film "Gemini Man" gibt es den echten und einen künstlich erschaffenen Will Smith. In der "Süddeutschen Zeitung" prophezeit der Regisseur eine Welt, in der man durch die künstlichen Gesichter hindurch "innere Schönheit" findet.
"Kann das gesund sein? Dicke Bücher?", fragt Paul Jandl in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Wenn es sich vor Ihren Augen bläht und wellt, wenn Ihnen anders wird beim Lesen, dann fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Oder Twitter."
Dort habe er, Paul Jandl, nämlich eine Selbsthilfegruppe entdeckt, unter #abgebrocheneBestseller. Und über diese Gruppe macht er sich nun lustig, indem er daraus zitiert: "‚Moby Dick‘. Was für ein Scheißbuch." Das kommentiert der Literaturkritiker Jandl so: "Beat this, Literaturkritik!, die du selbst so langatmig und umständlich schreibst, dass dich das Kurznachrichtenvolk kaum noch lesen wird."
Umberto Ecos "Der Name der Rose" werde bei Twitter genauso als abbruchwürdig beschrieben wie "Die Blechtrommel" von Günter Grass und auch Tolstoi. Zitat aus der Twitter-Gruppe: "‚Krieg und Frieden‘. Vor 39 Jahren angefangen. Immer noch bei Seite 100."

3-D: Erhöhte Bildfrequenz ruiniert Kinoerlebnis

Vielleicht entsteht ja schon bald bei Twitter ein neuer Hashtag: #abgebrocheneBlockbuster. Da könnte dann Ang Lees neuer Film "Gemini Man" erwähnt werden.
"Von wegen Zukunft des Kinos: Ang Lees Science-Fiction-Film ‚Gemini Man‘ mit gleich zwei Will Smiths ist in 3-D ein Flop", urteilt Andreas Busche im TAGESSPIEGEL und meint vor allem die erhöhte Bildfrequenz, die das "Kinoerlebnis gründlich" ruiniere.
Die Interviews, die der Regisseur zum Film gegeben hat, haben es aber in sich. Zu der Tatsache, dass der reale Schauspieler Will Smith mit Anfang 50 gemeinsam mit einem nicht mal halb so alten, vom Computer generierten Klon seiner selbst den Film gedreht hat. Wobei der Schauspieler aus Fleisch und Blut Bewegungen und Mimik seines virtuellen, jüngeren Ichs auch noch übernehmen musste.

Sind virtuelle Schauspieler bald schon Normalität?

Der Regisseur träumt jedenfalls schon von einer Filmwelt, in der virtuelle Schauspieler Normalität sind. Man werde durch die künstlichen Gesichter hindurch "innere Schönheit" sehen, prophezeit er im Gespräch mit Tobias Kniebe von der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Ob da nicht reale Schauspieler langsam Angst bekommen müssten, fragt Kniebe. "Ich weiß es auch nicht genau, aber ich habe große Lust, es herauszufinden", antwortet der Regisseur erschreckend egoistisch. Virtuelle Regisseure, die ihn ersetzen könnten, sind wohl noch nicht in Planung. Insofern kann er locker die schöne neue Welt begrüßen.
Weniger locker reagiert er allerdings auf die letzte Frage, die ihm Hanns-Georg Rodek im Interview für DIE WELT stellt: "Sie stammen aus China, Sie leben in den USA. Welchen Stellenwert hat der Zweifel in diesen Ländern?"
Antwort von Ang Lee: "Das ist eine ziemlich politische Frage, und politische Fragen lösen bei mir Unbehagen aus. Lassen Sie es mich so sagen: Menschen schließen sich in Gruppen zusammen, um an eine bestimmte Geschichte zu glauben. Nur die Geschichten sind verschieden."
Es klingt ein wenig, als hätte es ein auf Diplomatie programmierter Ang-Lee-Klon gesagt…

Gefangen im Oval Office

Es ist zu befürchten, dass nicht sein Klon, sondern der finnische Präsident Sauli Niinistö selbst bei Donald Trump im Oval Office saß und deshalb leiden musste. "Niinistö durchsuchte den Raum mit Blicken nach Fluchtmöglichkeiten und rückte immer weiter von Trump ab – bloß die Armlehne seines Sessels hielt ihn zurück", schreibt Dorothea Hahn in der TAZ.
Trump, den das drohende Amtsenthebungsverfahren offensichtlich noch aggressiver gemacht hat, schimpfte und nannte die anwesenden Journalisten die "wahren Staatsfeinde". "Kurz nachdem eine Journalistin ihn mit der ruhig formulierten Frage in die Enge trieb, worum er denn dieses Mal den finnischen Präsidenten gebeten habe, bellte Trump in den Raum: ‚Stellt gefälligst diesem Gentleman eine Frage.‘", berichtet Hahn.
Und weiter: "Niinistö, der bis dahin ein diplomatisches Pokerface gezeigt hatte, reagierte mit hörbarem Kichern."
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