Aus den Feuilletons

Schöne neue Welt

04:20 Minuten
Das Foto zeigt einen Computer-Bildschirm, auf dem ein menschliches Gesicht biometrisch vermessen wird.
Gesichtserkennung mittels Biometrie: Die Künstliche Intelligenz ist unglaublich datenhungrig. © dpa / picture alliance / picturedesk.com / Hans Ringhofer
Von Tobias Wenzel · 11.08.2019
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Systeme Künstlicher Intelligenz können nur zuordnen, was sie kennen. Insofern ist es wichtig, welche Daten eingespeist werden. Stammen diese von weißen, reichen Männern und wird nur deren Lebenswelt abgebildet, wird alles andere leicht zum Fehler.
"Intellectual debt", deutsch in etwa ‚intellektuelle Schuld‘, diesen Ausdruck des US-amerikanischen Juristen Jonathan Zittrain zitiert und erklärt Michael Moorstedt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Dieser Begriff beschreibe das Phänomen, dass wir uns "intellektuelle Lasten" aufladen, "indem wir erst die Antworten geben und die Erklärungen dafür nachliefern."
Das ist nur einer von mehreren Punkten in Moorstedts methodologischer Kritik an einer Studie, die die Wissenschaftszeitschrift "Nature" veröffentlicht hat. Der Studie zufolge sollen die Algorithmen von Deepmind, einer Tochterfirma von Google, zwei Tage früher als bisher Nierenversagen bei Patienten hervorsagen können.

Die Welt der Künstlichen Intelligenz ist weiß, reich, männlich

Die Studie ist aber nicht am Menschen durchgeführt worden, sondern anhand von historischen Patientendaten. Und nur sechs Prozent der Patienten waren Frauen. Ein solches nicht repräsentatives Vorgehen sei typisch für die Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz, erläutert Moorstedt.
Besonders gerne werde mit Daten von weißen Männern gearbeitet. Gesichtserkennungssysteme funktionieren, liest man heraus, deshalb nicht so gut bei schwarzen Frauen. Mehr noch:
"Laut einer ausgerechnet von Facebook durchgeführten Studie tun sich Bilderkennungsalgorithmen mit Personen aus einkommensschwachen Haushalten und mit Objekten aus ihrer Lebenswelt schwerer als mit solchen aus reichen Schichten. Das hat zur Folge, dass die Aloe-Vera-Emulsion im Spender von der Software eher als Seife erkannt wird als ein schnöder Klotz Kernseife", schreibt Moorstedt und liefert die Erklärung dafür:
"Die Welt, die von der KI beschrieben wird, wird eine sein, die die ihrer Schöpfer entspricht. Und das sind nun mal überwiegend weiße, reiche Männer."

In einer Welt ohne Hemmungen

Noch bedrohlicher klingt, was Robert D. Kaplan, ein US-amerikanischer Geostratege und Buchautor, in der WELT über das Digitale schreibt. Er vergleicht das frühe Atom- mit dem frühen Cyberzeitalter. Zwar sei eine Wasserstoffbombe schlimmer als ein Cyberkrieg. Aber ein anderer Unterschied sei beunruhigend:
"Das frühe nukleare Zeitalter fiel mit dem Druck- und Schreibmaschinenzeitalter zusammen. Print ist eine Technologie, die komplexes Denken fördert und damit moderate und überlegte Meinungen fördert, die zu einer ausgereiften Entscheidungsfindung beitragen", schreibt Kaplan.
"Das Digital-Video-Zeitalter und seine Social-Media-Komponente hingegen fördern Wut und Leidenschaft – und Leidenschaft ist der Feind der Analyse. Politiker und Bürger werden in diesem neuen Zeitalter der Kommunikationstechnologie unreifer sein und weniger umsichtigen Entscheidungen unterworfen. Wir leben in einer Welt ohne Hemmungen."

Absolutistische Demokratie

Die wird auch in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG beschrieben. Die Demokratie werde aufgrund einer Politisierung der Richterschaft schleichend ausgehöhlt, prophezeit Jonathan Sumption, pensionierter Richter des Obersten Gerichtshofs Großbritanniens. Gina Thomas gibt ihn so wieder:
"Er führt die Politisierung der Judikative auf gesellschaftspolitische Entwicklungen zurück, insbesondere den vom Herdeninstinkt der sozialen Medien geschürten Drang zur moralischen Konformität und das Bedürfnis nach rechtlichen Absicherungen zur Risikominimierung, was zur Folge hat, dass der Staat sich ständig in fast jede Lebenssphäre einmischt. Das siebzehnte Jahrhundert möge die absolutistische Monarchie abgeschafft haben, das zwanzigste Jahrhundert habe diese jedoch durch die absolutistische Demokratie ersetzt".

Licht am Horizont?

In solchen Zeiten braucht man die Fähigkeit von Heiko Werning, das Positive im Negativen zu erkennen. "Im Sonderbericht zum Klimawandel zeichnet der Weltklimarat ein düsteres Bild. Sehen Sie irgendwie auch Licht am Horizont?", fragt die TAZ den Satiriker und Zoologen. Und der antwortet: "Ja, bald werde ich nicht mehr fliegen müssen, um Wüstenreptilien zu beobachten."
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