Aus den Feuilletons

Schloss ohne Eigenschaften, vollgestopft mit Beliebigkeiten

Baukräne ragen an der Baustelle des neuen Berliner Stadtschlosses in den blauen Himmel.
Das historische Berliner Stadtschloss wird nachgebaut - was dann rein soll, ist noch unklar © Paul Zinken/dpa
Von Paul Stänner · 10.04.2017
In Berlins Mitte wird gebaut. Die "Süddeutsche Zeitung" beschäftigt sich ausführlich mit dem Humboldt-Forum und einigen drängenden Fragen: Wo ist das Konzept? Wer will was? Und findet noch jemand den roten Faden?
Berlin baut! Wir reden jetzt mal nicht a) über den einen Flughafen, der nicht fertig wird, auch nicht b) über den anderen, der womöglich doch nicht geschlossen wird, obwohl er angeblich geschlossen werden müsste, wenn der eine, der nicht fertig wird, mal fertig sein sollte.
Nein, wir reden von der Berliner Mitte.
Das Humboldt-Forum auf dem Terrain des früheren Stadtschlosses wird fertig und müsste so allmählich ein Konzept bekommen, aus dem hervorgeht, wozu es eigentlich gebaut wurde.
Eine ganze Seite investiert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, um ihre Leser mit den anstehenden Querelen vertraut zu machen. Es gibt eine dreiköpfige Gründungsindendanz, mit einem nur 10 Tage im Monat anwesenden Briten und zwei ortsfesten Deutschen. Alle drei haben unterschiedliche Ansichten und offenbar noch reichlich Abstimmungsbedarf. Jörg Häntzschel listet auf:
"MacGregor ist der gütige Bildungsonkel, der noch die Zumutungen deutscher Konsensmanie 'genießt', was leichter fällt, wenn man bald wieder im Flieger sitzt. Parzinger ist der Diplomat und Judo-Meister, der mit stählerner Disziplin auf Zeit spielt. Bredekamp schließlich ist Chefideologe und vielleicht der Einzige in ganz Deutschland, der für dieses Projekt glüht. Und über allem schwebt Grütters, die Diotima dieser Parallelaktion."

Scham statt Größe, Verwirrung statt Visionen

Denken wir Häntzschels Gedanken weiter, dann weist alles darauf hin, dass Monika Grütters als die Diotima von der Berliner Parallelaktion eines Tages vor einem Schloss ohne Eigenschaften steht, vollgestopft mit Beliebigkeiten ohne roten Faden. Häntzschel resümiert:
"Was für eine merkwürdige deutsche Geschichte: Man baut ein Schloss wieder auf, ohne zu wissen, was hinein soll. Man sehnt sich nach Größe und wird verfolgt von Scham. Man hat Visionen bestellt und erlebt nur Verstrickung."
Die Hauptstadt ist wohl doch dichter an Robert Musils Kakanien, als wir gemeinhin denken.
Mit Interesse werden diese Politiker die Ausstellung im Berliner Kulturforum, also vor ihrer Haustür, besuchen, über die Michael Pilz in der WELT schreibt. Unter dem Titel "Alchemie" zeigt sie von den Experimenten der antiken und mittelalterlichen Denker bis hin zu den DVDs der Serie "Breaking Bad" die Versuche, aus minderwertigen Materialien Gold oder zumindest Geld zu machen. Pilz ist fasziniert:
"Das Poetische der Alchemie wird wie die Energie immer erhalten bleiben. In den Globuli der Homöopathie, den Kräuterlösungen nach den Rezepten Hildegard von Bingens, den anthroposophischen Temperamenten, den Kristallfiltern am Wasserhahn, den Pflegeformeln in den Tagescremes und den Vitalisierungsmolekülen in den Haarwuchsmitteln."
Falls Sie verwirrt sein sollten von dem unverständlichen Poetischen der Alchemie: auch die WELT wird in Berlin montiert.

Biller wirft der Kritik eine antijüdische Abwehrhaltung vor

Die klare, unpoetische NEUE ZÜRCHER ZEITUNG nimmt den Faden auf, den Maxim Biller in der ZEIT gesponnen hat, wo er sich beklagte, dass sein 1000-Seiten-Schinken, den er selbst seinen "jüdischsten und persönlichsten Roman" nennt, von der Kritik in ihrer – so Biller – "gestrigen, antimodernen und immanent antijüdischen Abwehrhaltung" verrissen wurde. Es schreibt die NZZ:
"Der Gedanke, dies könne mit ästhetischen Gründen, mit der unbefriedigenden, ausufernden, pointenversessenen Konstruktion … zu tun haben, kommt dem von sich restlos überzeugten Maxim Biller selbstverständlich nicht."
Und dann fürchtet die Zeitung:
"Vermutlich wird diese Schuldzuweisung Schule machen, vermutlich lesen wir bald seitenlange Kritiker-Schelten des sich unverstanden wähnenden Daniel Kehlmann, der verbitterten Ulla Hahn oder des grundsätzlich leidenden Martin Walser."
"Schöne Aussichten" stöhnt ahnungsvoll die NZZ.
Dem haben wir nichts hinzuzufügen.
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