Aus den Feuilletons

Schlechte Zeiten für die Wahrheit

04:13 Minuten
Ein belarussische Flagge vor Demonstrierenden mit leuchtenden Handys.
Die Wahrheit bleibt in Belarus derzeit oft auf der Strecke, berichtet die "FAZ". © imago images / Sergei Bobylev / ITAR-TASS
Von Klaus Pokatzky · 26.08.2020
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Nach den Protesten gegen die Präsidentenwahl in Belarus sind auch viele Journalisten verhaftet worden, schreibt die "FAZ". Wer nicht ins Gefängnis kam und sich weigerte, das Lügen mitzumachen, wurde durch russische Kollegen ersetzt.
"Es scheint, als lebten wir im Zeitalter der Lüge", lesen wir in der Wochenzeitung DIE ZEIT. "Aber das tun wir immer schon." Aber hier nicht, hier wird jetzt nicht gelogen.
"Der belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenka und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin trauen einander nicht über den Weg, aber sie nutzen die gegenwärtige Krise, um die Pressefreiheit in ihren Ländern weiter einzuschränken", teilt uns die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG wahrheitsgemäß mit.

Experten für Medienmanipulation

"Nach den friedlichen Protesten gegen die mutmaßlich manipulierte Präsidentenwahl wurden in Belarus auch zahlreiche russische Journalisten verhaftet", schreibt Kerstin Holm. Die Journalisten weißrussischer Staatsmedien, die das Lügen nicht mitmachen wollen, sind hingegen rasch durch Kollegen aus dem benachbarten Russenland ersetzt worden. Da kann Putin großzügig sein.
"Schon verraten die klassischen Tricks der Medienmanipulation die Handschrift russischer Experten", hat Kerstin Holm im weißrussischen Fernsehen beobachtet.
"Jüngst zeigte der Staatssender 'Belarus 1' Filmbilder eines Auftritts der Oppositionsführerin Maria Kolesnikowa, der letzten Angehörigen des Frauentriumvirats, die noch im Land bleiben konnte, vor ihren Anhängern. Doch unterlegt wurden die Bilder durch einen Sprechchor, der 'Hau ab!' (Uchodi!) skandierte, was eigentlich an Lukaschenka gerichtet war. Die Fernsehmoderatorin log den Zuschauern vor, Kolesnikowa sei von der Menge so empfangen worden."
Ach, wenn die Lügner doch endlich abhauen würden.

Lügner sind spannender

"Der Mensch lügt, dass sich die Balken biegen, und tut dies von Anbeginn", belehrt uns da aber DIE ZEIT. "Gelogen wird schon im Kindesalter, unter Kollegen und Familienmitgliedern, von Politikern oder ganzen Nationen", schreibt Nina Pauer.
"Man kann sich selbst belügen, die Wahrheit verdrehen, um Konflikte zu umgehen, um andere zu schützen, um niemanden zu enttäuschen, nicht bestraft zu werden, bestehende Ordnungen nicht zu stören und als Held dazustehen. Oder schlichtweg: um interessanter zu wirken."
Jetzt brauchen wir aber etwas Trost. "Die Idee des Westens beruht auf der Verbreitung der Sphäre der Freiheit", sagt in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG der amerikanische Historiker Michael Kimmage. Und da könnten wir freiheitlichen Westler uns ja mal fragen, wie wir denn genau jetzt Richtung Osten blicken.

Der Mensch als Blume

"Belarus, das fremde, ferne Land, ist plötzlich nicht mehr weit weg", heißt es in CHRIST UND WELT, der Beilage der ZEIT.
"In einer medial vernetzten Welt kann man aus dem Sessel in Deutschland Revolutionsbewegungen in Echtzeit verfolgen", schreibt Petra Bahr. "Diese Bewegung braucht die Unterstützung des Westens mit seinen Vorstellungen vom Menschen, die auch durch das biblische Bild vom Menschen als Blume geprägt sind."
Die evangelische Regionalbischöfin hat eine Liebeserklärung an die politische Pflanze verfasst: "Blumen als Antwort auf Terror" – wenn in Weißrussland bei Demonstrationen "Hunderte oder mehr, die einer Prozession gleich und mit ernsten Gesichtern Blumen in die Höhe halten oder vor der Brust tragen".
Frauen vor allem sind es, die so demonstrieren, und damit für Petra Bahr ein mehr als deutliches Zeichen setzen: "Wenn Menschen für Freiheit und Gerechtigkeit aufstehen, wenn sie einem unberechenbaren Sicherheitsapparat mit Blumen in der Hand begegnen, setzen sie auf ein Versprechen, das im uralten Gleichnis vom Menschen als Blume verborgen ist: auf Anmut und Würde." Und das alles ist gewisslich wahr.
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