Aus den Feuilletons

RWE könnte enden wie Macbeth

Das Bild zeigt Polizisten, die im Hambacher Forst eine Demonstrantin festnehmen.
Polizisten nehmen eine Demonstrantin im Hambacher Forst fest. © dpa/Christophe Gateau
Von Ulrike Timm · 17.09.2018
Der Streit um den Hambacher Forst nimmt shakespearesche Ausmaße an, schreibt die "Welt". Der Philosoph Bazon Brock sieht in der Eskalation im Wald sogar viele Parallelen zum Drama "Macbeth": Es gehe um Macht und Herrschaftspläne.
Was der Hambacher Forst mit Shakespeares Macbeth zu tun hat? Für Bazon Brock, den Professor für Ästhetik und Gründer der Berliner Denkerei, liegt das auf der Hand. In der WELT darf er eine, seine Geschichtslektion darlegen, und die geht so:
"Die Macht der Geschichte besteht darin, stets alle Herrschaftspläne und Allmachtsfantasien zu verwirklichen – und sie damit zu vernichten. Die weitsichtigen und deshalb Hexen genannten Frauen, heute Greenpeace-Aktivistinnen, prophezeien bei Shakespeare dem machtgeilen, angemaßten Möchtegernherrscher Macbeth, dass er untergehen werde, wenn sich der Wald von Birnam in Bewegung setzt".

Hambacher Forst als Macbeth-Inszenierung

Der RWE-Konzern würde enden wie Macbeth, meint Brock, denn es sei "Irrsinn, gleichzeitig die Gewinnung von Braunkohle zu erlauben und deren Verbrennung radikal einschränken zu wollen. Das Geschehen im Hambacher Forst ist die bisher angemessenste Inszenierung des Macbeth, die jedes feuilletongepriesene Regietheater weit übertrifft. Peymann, Castorf, in den Wald!", lesen wir in der WELT, die unter dem Titel "Volksbühne" noch ein Foto serviert, auf dem die Räumung eines Baumhauses zu sehen ist, aber so aufgenommen, dass es in seiner kunstvollen Abgeranztheit der Volksbühne in ihren besten Tagen als Bühnenbild alle Ehre gemacht hätte.
Auch der Dramatiker Moritz Rinke kämpft mit dem Tagesgeschehen und sucht im TAGESSPIEGEL nach einer dramatischen Form dafür: "Chaos in Chemnitz, Verfassungsschutzpannen, Regierungskrise: die bundesdeutsche Realität lässt sich nur noch als Farce begreifen. Und selbst das macht Mühe".

Baumbesetzer gefährlicher als Hitlergrußzeiger?

Dabei hat auch der TAGESSPIEGEL seinen Kommentar zur Baumhausräumung zwecks Braunkohleabbau: "Bei Umweltschützern und auch Globalisierungsgegnern kann man sich auf die Polizei verlassen, nur bei Hitlergrußdemonstrationen hält man sich vor Ort offenbar zurück."
Anders als Professor Brock ist sich der Dramatiker Rinke aber nicht in allem und jedem so sicher. Und das macht seine Beobachtungen und die Suche nach dramatischem Ausdruck darin stärker. Und ein bisschen böser.
Staunend führt Moritz Rinkle sich im TAGESSPIEGEL vor Augen, wie der gesamte Verfassungsschutz ein volles Wochenende lang über einem 19-Sekunden-Video brütet, "statt also genuine Verfassungsschutzarbeit zu leisten, um vielleicht weitere für die sächsische Polizei sich so unberechenbar formierende Aufmärsche von fast 2500 Hitlergrußmenschen zu verhindern…..Wie schnell muss man laufen, um wirklich gehetzt zu sein? Fünf bis sieben Meter? Oder mehr?" Solche Fragen stellt sich Rinke im TAGESSPIEGEL und kriegt sie, obwohl Dramatiker, nicht recht in eine Farce.

Stil und Lebenskunst

In der Schweiz geht es derzeit geruhsamer zu, und so leistet sich die NZZ ganz vorne im Feuilleton eine komplette Seite zum Thema Stil. Mit dem beginnt für Roman Bucheli nämlich die Lebenskunst. Und er lobt etwa die "durchaus vornehme Form der Zurückhaltung."
Denn echte Nähe brauche einfach eine gute Portion Zeit, Geduld, und Aufmerksamkeit. Das sei etwa bei der überstürzten Verbrüderung in Form des fixen Duzens nicht gegeben. Die Pressebeschauerin denkt ebenso, aber profaner, schließlich sagt man nicht so schnell "Sie Arschloch" wie "Du Arschloch", schon deshalb ist Siezen manchmal sehr nützlich.
Interessant, gerade wegen der losen dramatischen Szenenfolgen, die wir heute im Tagesspiegel und der Welt vorfinden, der Zürcher Blick auf ein Wesensmerkmal von Kunst: "Nirgendwo zeigt sich so deutlich wie in der Kunst, was mit der Form verloren geht: Form heißt hier Arbeit an der Substanz und am Gedanken."
Also wohl doch noch allerhand zu tun, bis man das Tagesgeschehen in ein Drama übersetzen kann, auch wenn Vergleiche manchmal nah liegen.
Wie schön, dass die Kollegen der NZZ ihr Stil- und Formbewusstsein zwei Seiten weiter nicht kunstgerecht, aber irgendwie schon wieder mit Stil zerbröseln. Da heißt es nämlich über einer Rezension des Buches "Sound der Macht", das sich mit den Worthülsen des Politischen befasst:
"Sag mir was und drisch nicht einfach Phrasen!"
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