Aus den Feuilletons

Rosenkranz mit Bluetooth

04:20 Minuten
Ein Mann hält einen Rosenkranz in den Händen.
Bald mit USB-Anschluss: der Rosenkranz. © picture alliance/Sina Schuldt/dpa
Von Tobias Wenzel · 22.12.2019
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Kurz vor Weihnachten berichtet die "Süddeutsche Zeitung" über den Plan eines High-Tech-Rosenkranzes. Der Papst will damit ein weltweites Netzwerk der Betenden knüpfen. Durch den "E-Rosary" hätte der Hirte seine Herde immer im Blick.
"Wie geht es dir, Freund Wald?", fragt Daniele Muscionico in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Bäume sind langsam. Sie haben keine Eile. Auch du verlierst die Hast in ihrer Gesellschaft. Du trittst unter ihr Dach und du fühlst, wie du zu lächeln beginnst." Da darf man sich als Leser schon fragen: "Was hat die sich denn eingeworfen? Das will ich auch!" Aber vermutlich weihnachtet es einfach schon im Kopf dieser Journalistin und manch anderer Kollegen der Feuilletons vom Montag.
"Man richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf die Erfahrung des gegenwärtigen Momentes, ohne zu urteilen", schreibt Melanie Mühl in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Diese achtsame Haltung kann man durch Meditation üben. Aus ihr erwächst ein aufmerksamer, sensibler, mitfühlender Blick, der im anderen die eigene Verletzlichkeit wahrnimmt."

Ade Hamsterrad

Mühl referiert die Gedanken des Meditationsforschers Stefan Schmidt zur Achtsamkeit und dazu, was sie, einmal erlangt, für Auswirkungen haben kann. In Mühls Worten: "Stefan Schmidt erzählt von der Studie einer Kollegin, die die Mitarbeiter eines Call-Centers in Achtsamkeitsübungen schulte. Sie hatte also einen Ort gewählt, der beispielhaft für das Hamsterraddasein steht: reibungsloses Abarbeiten gegen lächerlich geringe Bezahlung. Nach dem Achtsamkeitstraining jedenfalls kündigten einige Mitarbeiter. Plötzlich war ihnen aufgefallen, in welch ausbeuterischem System sie feststeckten."
Achtsamkeit als "Grundhaltung, der Welt und sich selbst zu begegnen", im Gegensatz zur kommerzialisierten Meditation zur Stressbewältigung und Selbstoptimierung. Für letzteres gebe es "mehrere tausend Apps", schreibt Mühl, ausgerechnet für jenes Gerät, "das die Unruhe, die man bekämpfen möchte, größtenteils verursacht."
Über erhofftes Seelenheil per App und einen mit dem Smartphone per Bluetooth verbundenen High-Tech-Rosenkranz berichtet Michael Moorstedt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG. Dahinter steckt der Papst mit dem Projekt des weltweiten Netzwerks aus Betenden. Dieser digital verknüpfte Rosenkranz sei gar nicht so abstrus, führt Moorstedt aus: "Schließlich ist die moderne Informationstechnologie mit ihren Überwachungs- und Offenbarungsmechanismen der wahr gewordene Traum eines katholischen Priesters alter Schule. Statt sich in der Beichte die ausgedachten Sünden der Gemeindemitglieder anhören zu müssen, könnte man genau nachvollziehen, wer noch ein paar Vaterunser nötig hat."

Die Axt unter dem Weihnachtsbaum

Na, wenn das mal nicht ein verlockendes Weihnachtsgeschenk ist! Gerhard Matzig hat, ebenfalls in der SZ, einen anderen Tipp: "Wer noch ein Last-minute-Geschenk benötigt, das auf rustikale Art praktisch und dystopisch wehrhaft aber zugleich auch hintersinnig konsumkritisch erscheint, der sollte jetzt zur Designer-Axt greifen."
Die Axt habe nämlich, besonders in den USA, eine Wandlung vom ausschließlichen Horror-Objekt zum "Must-have" der Gegenwart vollzogen. Manufakturäxte würden sogar zu Babypartys geschenkt. Details dazu müssen Sie, liebe Hörer, selbst in der SÜDDEUTSCHEN lesen. Nur noch so viel von Gerhard Matzig: "Sollte sich an Heiligabend unterm Bio-Öko-Baum aus regionalem Anbau eine Axt als Geschenk befinden, so fühlt der Baum vielleicht: Das ist jetzt auch schon egal."
"Egal", welch garstig Wort in dieser besinnlichen Zeit. Drum von der Axt unterm Baum zum Menschen unter Bäumen. Und zurück zu Daniele Muscionicos Waldspaziergang und ihren tief empfundenen Worten in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG: "Dann setzt du dich auf etwas, das wie ein Stein aussieht. Du bemerkst das weiche Sitzkissen einen Augenblick zu spät. Hättest du dich sonst daraufgesetzt? Grünes Koboldmoos."
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