Aus den Feuilletons

Rettet den Briefkasten!

Nachbau eines historischen Briefkastens von 1896 in Idstein (Hessen).
Nehmen Briefkastenfirmenchefs überhaupt je Post raus? © picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen
Von Ulrike Timm · 06.04.2016
Nach Veröffentlichung der Panama-Papers poliert die "TAZ" mit einer Sonderseite das Image des Briefkastens auf. Sie nennt ihn zum Beispiel einen "Glücksgefühl-Provider". "Eine Million Firmen auf 150 Quadratkilometer" findet die "FAZ" ein bisschen viel.
Der Ruf des Briefkastens hat in letzter Zeit ein wenig gelitten. Einfach zu viele davon in Panama.
"Das darf so nicht hängen bleiben", findet die TAZ und zeigt auf einer ganzen Seite rührend altmodische oder rabiat demolierte Briefkästen und erzählt kleine Geschichten dazu, mit schönen Überschriften:
"Vertrauen und Vielfalt", "Kasten, Schlitz und retour", "Der Glücksgefühl-Provider"
– wie das klingt angesichts der ungeheuren Briefkastendichte in Panama.
Und ob ein Briefkastenfirmenchef auf Gedanken käme, wie Marlene Halser es schildert?
"Mein Briefkasten ist einsam."
Weil alle Welt nur noch elektronisch verschickt. Nehmen Briefkastenfirmenchefs überhaupt je Post raus? Kommt überhaupt welche an, eben weil doch alle Welt elektronisch verschickt? Und sieht eine BriefkastenFirmenBriefkastenAnsammlung etwa so aus wie es TAZ–Autor Jürn Kruse aus Schweden kennt?
"Da hängen sie in Reih und Glied zwar, aber kaum einer gleicht dem anderen – wie eine Leibgarde, in der nur Clowns dienen ... rot, blau, gelb, grün, weiß, mal mit Zeitungsrolle, mal ohne ... mal ist der Name groß draufgepinselt, mal kaum lesbar" und, vor allem, "viele der schwedischen Briefkästen sind nicht einmal abschließbar ... sie sind ein Sinnbild für das Vertrauen in die Nachbarinnen und Nachbarn."
Ob das in Panama genauso ist? Und wie heißt überhaupt der korrekte Plural von dem Ding? Kasten oder Kästen? Fragen über Fragen!
Jürgen Kaube von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN hat sie wohl auch, stellt sie aber anders:
"Eine Million Firmen auf 150 Quadratkilometer – ist das ein Fall von bürgerlicher Freiheit? Die Panama-Papiere werfen die Frage auf, wo die Legitimität von Steuervermeidung ihren Sitz hat. Was nicht verboten ist, heißt es, das ist erlaubt."
Diese These zeuge davon, dass der Staat "als Gegenüber der Gesellschaft begriffen (werde), als Instanz, die Freiheiten seiner Bürger einschränkt". Und den man deshalb nach Meinung nicht Weniger auch ungestraft bescheißen dürfe – Jürgen Kaube in der FAZ sagt das mit anderen Worten, aber wir fassen das mal so zusammen, um nicht zu viel Platz zu verbrauchen. In der FAZ heißt es weiter:
"Das Vokabular, in dem über die betreffenden Tatbestände diskutiert wird, spricht eine andere Sprache. 'Briefkastenfirma', 'Steueroase', 'Steuerschlupfloch' – das alles sind Begriffe, die wie 'Schattenwirtschaft' oder 'Dunkelziffer' eine Missbilligung wenn nicht offen aussprechen, so doch enthalten. Nicht jeder Briefkastenfirmenchef, heißt es, sei ein Steuerhinterzieher oder Geldwäscher. Das ist so. Aber von 'Scheinfirmen' zu sprechen impliziert eben doch, dass es besser wäre, keine bestünde nur aus einem Postfach; besser, es könne nicht hindurchgeschlüpft werden; besser, die Gebühren für unternehmerische Briefkästen machten nicht fünfzig Prozent der Staatseinnahmen auf den Jungferninseln aus, wo auf 150 Quadratkilometern knapp eine Million Firmen ihren Sitz haben sollen."
William Shakespeare als Wachsfigur
Die Wachsfigur von William Shakespeare im Wachsfigurenkabinett Madame Tussauds in Berlin.© picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene

"Regelrecht umgeblasen" - Mayenburg übersetzt Shakespeare

Ein kleiner Ausflug soll noch sein, zur BERLINER ZEITUNG, und zu Schönheit und Ausdruckskraft der Sprache Shakespeares – lange her, da schrieben Menschen noch Briefe, aber die Kästen dazu waren vermutlich noch unbekannt. Sei's drum. Der Dramatiker und Übersetzer Marius von Mayenburg erklärt, warum er bei seinen Shakespeare-Übersetzungen auf Reime verzichtet.
"Vers-Nachdichtungen zum Mitwippen und Nachlesen gibt es in reicher Auswahl."
Das Original aber habe ihn 400 Jahre nach Shakespeares Tod in seiner theatralischen Wirkung stets "regelrecht umgeblasen". Wie herausfordernd eine heutige Übertragung ist, das beschreibt von Mayenburg eindrucksvoll:
"Übrigens beneiden uns trotz aller Verluste die englischsprachigen Theatermacher um diese Möglichkeit der Aneignung. Ramin Gray, ein befreundeter Regisseur aus London, der mich mit der verzweifelten Schnapsidee überrascht hat, eine deutsche Hamlet-Fassung wieder zurück ins Englische zu übertragen, meinte: 'Ihr habt es gut, ihr könnt alle paar Jahre eine neue Übersetzung machen. Bei euch spricht Shakespeare immer die Sprache der Gegenwart.'"
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