Aus den Feuilletons

Rassismus wie aus dem Lehrbuch

04:16 Minuten
Polizeieinsatz am Hauptbahnhof Köln
Muslime in festlicher Kleidung, die zum Zug eilten, wurden am Kölner Hauptbahnhof festgenommen. © dpa
Von Tobias Wenzel · 05.06.2019
Audio herunterladen
In der „taz“ lesen wir Erhellendes über den Zustand der deutschen Terror-Paranoia. Muslime in Festtagskleidung sollten sich hierzulande eher gemächlich bewegen, da es sonst schon mal vorkommen kann, dass sie zu Boden geworfen und fixiert werden.
Stellen Sie, liebe Hörer, sich mal vor, dass die Feuilletons Sie gleich mehrfach auffordern, sich etwas vorzustellen. Genau das ist in den Zeitungen vom Donnerstag zu beobachten. Und tatsächlich sind die Vergleiche über den Weg der Imagination erhellend.

Unter Verdacht: sich rasch bewegende Muslime

"Stellen Sie sich vor", schreibt Sibel Schick in der TAZ, "Sie machen sich schick für einen festlichen Besuch und werden gerade deshalb mit Gewalt auf den Boden geschmissen." Klingt absurd. Aber nicht, wenn man liest, worum es in dem Artikel geht:
"In Köln werden zehn Muslime zum Ramadan in der Wahrnehmung von Fahrgästen am Bahnhof zu einer terroristischen Gefahr. Dabei wollten sie nur ihren Zug erreichen". Die Polizei hat die Männer, die in Festtagskleidung Verwandte besuchen wollten und in Richtung Gleis rannten, am Boden fixiert.
"Warum soll das Rennen an einem Bahnhof verdächtig sein?", fragt Schick. "Weil es Muslime sind, die rennen und dabei noch weiße Gewänder tragen." Das sei "Rassismus wie aus dem Schulbuch".

Renaud Camus' Einfluss auf die Rechte

Wie sich Rassismus durch eine abenteuerliche Verschwörungstheorie mit altbekanntem Antisemitismus verbindet, erfährt man aus dem Interview der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG mit dem US-amerikanischen Philosophen Michael Walzer.
Die Trump-Regierung schaffe "eine Atmosphäre, in der der weiße Rassismus" wachse, der sich "primär gegen Mexikaner und Muslime" richte, aber auch gegen Juden:
"Als die rechtsextremen Demonstranten in Charlottesville skandierten 'Die Juden werden uns nicht austauschen', habe ich das erst überhaupt nicht verstanden", erzählt Walzer.
"Dann erst habe ich gelernt, dass es diese durch den Franzosen Renaud Camus in die Welt gesetzte Ideologie gibt, die in den Vereinigten Staaten in die Verschwörungstheorie mündet, dass die reichen, mächtigen und viel zu schlauen Juden die dummen Mexikaner und Muslime benutzen, um die weißen Christen in den Vereinigten Staaten durch sie zu ersetzen."

Das Humboldt-Forum: "Ein Geisterhaus"

Vielleicht macht das Berliner Humboldt-Forum mal eine Ausstellung zur Wechselwirkung von Rassismus und Verschwörungstheorien. Erst einmal wird das Forum im November allerdings als "Geisterhaus" eröffnet, prophezeit Jörg Häntzschel in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG.
Die geplante Ausstellung zum Thema Elfenbein werde nicht mehr rechtzeitig fertig. "Wenn sich jetzt nicht noch schnell Ersatz aus dem Boden stampfen lässt, bekommen die Besucher nun nur ein einziges Exponat zu sehen: das Schloss selbst."
"Halbgute Garnichtlösung", schreibt Hanno Rauterberg in der ZEIT nicht über das Humboldt-Forum, sondern über den geplanten Neubau für die Nationalgalerie in Berlin. Rauterberg glaubt ein Raunen des Widerstands in der Kulturpolitik vernommen zu haben, jetzt, da die Große Koalition wackelt.
Der von der CDU-Kulturministerin Monika Grütters unterstützte Museumsbau sei zu konzeptlos und zu teuer. Rauterbergs Prognose: "Die Regierung wird fallen und mir ihr der stolze Plan."

Macrons Notre-Dame-Pläne

Die Franzosen machen's besser, könnte man denken. Schließlich hat Präsident Emmanuel Macron nach dem Brand einfach mal beschlossen, die Pariser Kathedrale Notre-Dame in nur fünf Jahren wieder aufzubauen. Allerdings "schöner", mit einem moderner anmutenden Spitzturm.
Das wiederum spaltet das Land, wie Gero von Randow in der ZEIT berichtet. Außerdem erfolge der Wiederaufbau am Denkmalschutz vorbei und werde von einem pensionierten Armeegeneral aus dem Elysée-Palast heraus koordiniert. Da setzt auch von Randow auf die Kraft des Vergleichs durch Imagination:
"Stellen Sie sich mal vor, das Dach des Kölner Doms wäre abgebrannt, und Angela Merkel hätte nun gesagt: 'Den bauen wir jetzt schöner als bisher, auch ein bisschen moderner, und zwar ganz schnell, da gibt's auch schon einen Bundeswehrgeneral im Kanzleramt, und an die Gesetze braucht er sich nicht zu halten' – was würden die Leute wohl sagen? Dass sie verrückt geworden ist."
Mehr zum Thema