Aus den Feuilletons

Pressefreiheit nach Gutsherren-Art

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko © dpa / picture-alliance / Andreas Gebert
Von Tobias Wenzel · 01.06.2016
Zwar würden in der Ukraine – anders als früher – kritische Journalisten nicht mehr bedroht, schreibt die "Süddeutsche". Doch Präsident Petro Poroschenko gebe ausländischen Journalisten gar keine Interviews und inländischen nur, wenn sie nach seinen Bedingungen abliefen. Wer sich weigert, bekommt nie wieder die Chance.
"Es gibt keine Zensur – und es gibt sie doch", schreibt Cathrin Kahlweit in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG über die Lage der Pressefreiheit in der Ukraine. Die vermeintlich paradoxe Aussage löst die Journalistin dann mit einem großen "zwar" und einem ebenso großen "aber" auf: Zwar ist die Ukraine in der Rangliste der Pressefreiheit "immerhin" ins Mittelfeld aufgerückt und zwar werden Kahlweit zufolge heute kaum noch kritische Journalisten in der Ukraine bedroht wie noch unter dem damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch.
Aber der neue Präsident Petro Poroschenko gebe ausländischen Journalisten meist gar kein Interview und inländischen nur dann, wenn sie sich an die Bedingungen des Präsidenten hielten. So habe der Nachrichtenchef des ukrainischen Fernsehsenders 1+1 berichtet, die Präsidialverwaltung verlange, man solle alle Fragen vorher zusenden und abstimmen:
"Dann sollte nicht etwa die Kamera von 1+1 zum Einsatz kommen, sondern ein Team des Präsidialapparates, der dann auch den Schnitt erledigt und das fertige Interview zur Ausstrahlung zugesandt hätte."
Hätte – denn der Fernsehsender habe sich geweigert und bekomme seitdem kein Interview mehr mit dem Präsidenten. Der besitzt, so Kahlweit, selbst einen Fernsehsender. Die Sender gehörten oft mächtigen Oligarchen, die sie nur als Mittel nutzten, um ihre eigenen politischen Botschaften zu verbreiten und ihre politischen Gegner anzugreifen.
"Die Redakteure würden bisweilen förmlich zu Marionetten im Kampf der Eigentümer ihres Senders, berichtet ein Betroffener. Da kämen Anweisungen in einer Sendung teilweise auch über den Kopfhörer direkt ins Ohr, etwa 'Weicher fragen!'"

Neurechte Paranoia

Diese Information könnte mindestens 2.000.000 Menschen in ihrer Annahme bestärken, dass auch deutsche Journalisten im öffentlich-rechtlichen Radio und Fernsehen über Informationen aus dem Kopfhörer gelenkt werden, natürlich vom Teufel höchstpersönlich. Ungefähr 2.000.000 Freunde hatte nämlich die Facebook-Seite "Anonymous Kollektiv", berichtet Andrea Diener in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG:
"Die Seite deckte das gesamte Themenarsenal der neurechten Paranoia und ihrer Verschwörungsableger ab."
Diener schreibt in der Vergangenheit. Denn die Internetseite, die unter anderem private Daten von Vertretern der angeblichen "Lügenpresse" veröffentlicht und vor den vermeintlich mörderisch giftigen Chemtrails, also den tatsächlich harmlosen Kondensstreifen der Flugzeuge gewarnt hat, sei nun verschwunden.
"Das mag daran liegen, dass sich Facebook dazu verpflichtet hat, Hasskommentare innerhalb von 24 Stunden zu löschen", spekuliert Andrea Diener. Denn Facebook habe sich dazu nicht äußern wollen. Diener bezeichnet Mario Rönsch als "mutmaßlichen Betreiber" der Seite:
"Allerdings ist Rönsch zurzeit nicht auffindbar, weshalb Fahndungsmaßnahmen eingeleitet wurden."

Nichts passiert und das ist toll

Vielleicht hat sich Mario Rönsch ja nur zurückgezogen, um in aller Ruhe Richard Linklaters neuen Film im Kino zu sehen:
"Die Helden in Richard Linklaters 'Everybody Wants Some!!' sind unerträglich und nervig. Man kriegt trotzdem nicht genug davon."
Das schreibt Felix Zwinzscher in der WELT und verstärkt die Verwirrung noch mit folgendem an den Leser gerichteten Satz:
"Sie werden es hassen und dann immer mehr davon wollen."
Zwinzscher fasst den Inhalt des Films zusammen, um danach diesen vermeintlichen Widerspruch zu erläutern:
"Die ersten 72 Stunden des Neustudenten Jake an einer texanischen Uni, an die ihn ein Baseball-Stipendium geführt hat. Und in diesen drei Tagen passiert, wie es sich für einen Linklater-Film gehört, eigentlich überhaupt nichts. Wie toll das ist, spürt man erst, wenn der Film schon vorbei ist. Dann will man sitzen bleiben. Die zwei Stunden nochmal sehen. Nein, erleben."
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