Aus den Feuilletons

Poet werden in 19 Schritten

Goethe- Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel vor dem Deutschen Nationaltheater auf dem Theaterplatz in Weimar , Deutschland . Statue of Johann Wolfgang von GOETHE in front of the Deutsche Nationaltheater . Weimar , Germany . 16.07.2002 , Weimar Thueringen Deutschland PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xUtexGrabowskyx Goethe Schiller Monument from Ernst Rietschel before the German National Theatre on the Theatre Square in Weimar Germany Statue of Johann Wolfgang from Goethe in Front of The German National Theatre Weimar Germany 16 07 2002 Weimar Thueringen Germany PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright xUtexGrabowskyx
Das Goethe-Schiller-Denkmal von Ernst Rietschel in Weimar. Die beiden Dichter kannten bestimmt die eine oder andere Poesie-Regel. © imago stock&people
Von Ulrike Timm · 26.08.2018
"Die Welt" verspricht mit einer "Handreichung in 19 Paragraphen" aus jedem einen Dichter machen zu können, der zumindest "akzeptable Poesie" hervorbringt. Ein paar Regeln muss man durchaus lernen, es ist aber auch hilfreich, sehr jung oder sehr alt zu sein.
Die WELT will uns zu ganz ordentlichen Dichtern ausbilden. Ja. Matthias Heine ist sich sicher - "die allgemeine Kenntnis bestimmter Regeln" befähige auch "Menschen, die keine Originalgenies" seien, "akzeptable Poesie hervorzubringen". Das hat er von Goethe, der von akzeptabler Poesie ja einiges verstand. Also nur zu - "Eine Handreichung in 19 Paragraphen".

Anleitung für elementare Kulturtechniken

Punkt 1: "Vergessen Sie Ihre Stimmungen", denn Gedichte sind "nicht aus Gefühlen gemacht, sondern aus Worten". Und um das noch zu verstärken, zitiert die WELT herzzerreißende Zeilen von Heine, die sensibelst den Tod beschwören - "Heine hat danach noch Jahrzehnte munter weiter gelebt".
Weitere Rezeptzutaten: "Reimen Sie" - wer hätte das gedacht! - oder "Wählen Sie eine klassische Gedichtform - Im Deutschen haben sich das Sonett und die Stanze bewährt. Dadurch klingen Gedichte leicht wie Büttenreden". Für die, die Inhalt und Worte ihrer Poesie noch suchen, hat die WELT die Lautgestalt eines Sonetts schon mal sorgfältig aufgemalt, "das Versmaß, der Jambus, bringt den Wechsel von unbetonter und betonter Silbe." Den Rhythmus haben Sie also schon mal, da sollte der Rest doch ein Klacks sein.
Paragraph 19 allerdings wird viele Neudichter wieder herauskatapultieren, "Seien Sie sehr jung. Oder sehr alt!" denn: "Alle großen Dichter haben von den sechs bis acht wirklich vollendeten Gedichten, die sie geschaffen haben, überproportional viele als ganz junge und als sehr alte Menschen hervorgebracht." Fies eigentlich, das erst an neunzehnter und letzter Stelle zu bringen, denn der klassische WELT-Leser befindet sich meist irgendwo im leicht gehobenen Mittelalter und kann jetzt einpacken.
Die ganzseitige Anleitung "Mehr Krebs, weniger Heideröslein!" bildet den sogenannten Kultur-Knigge in der WELT, die sich in einer großen Serie um "Anleitungen für elementare Kulturtechniken" bemüht, diesmal unter heftiger Zuhilfename der Herren Benn, Brecht und Goethe.

Wieviel Denken tut dem Schreiben gut?

Wer jetzt hofft oder fürchtet, dass die Kulturpresseschau….. nein, wir bleiben schnöde Prosa.
"Gute Pimmelwitze gehen immer" – rumms. Das steht in der TAZ und beschwört auch Literatur. Sven Regener las beim Sommerfest des Literarischen Colloquiums Berlin und animierte den Festbesucher Jan Jekal zu diesem knappen Fazit. Bei dieser Veranstaltung ging es u.a. darum, wieviel Denken dem Schreiben gut tut.
Und auch in der FAZ betritt die Literatur Seitenwege. Sandra Kegel hat aufgespießt, wie sich die Verlagsgruppe Holtzbrinck einen Lesekreis vorstellt. Der funktioniert anscheinend vor allem über geselliges Trinken. "Probieren Sie es lieber mit einem leichten Wein zum Buch, der auch zu kleinen Snacks überzeugt. Setzen Sie auf frische Weißweine, die voll im Geschmack sind , wie ein Pinot Grigio oder ein Grüner Veltliner."

Nur schlechte Künstler wollen die totale Illusion

Falls Sie nun betrübt feststellen, dass auch dieses Doping bei Ihnen zum beschwipsten Lesen, aber nicht zum selbstdichterischen Durchbruch führt, dann tröstet Sie womöglich die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine Seite weiter. Die widmet sich dem Schönen Schein. Eine Ausstellung in der Münchner Kunsthalle geht der Frage nach, warum wir uns von Künstlern so gerne täuschen lassen. Stefan Trinks berichtet von der "glänzenden Schmeißfliege, die jedermann von den Gemälden verjagen will, genau wie man die vielen gemalten Zeuxis-Trauben und Parrhasios-Vorhänge in der Ausstellung unbedingt berühren will." Aber auch von den Löchern, in die man wirklich fällt, weil man sie für gemalt hält – die waren eben leider echt.
"Eine Formel lässt sich der großen Münchner Illusions-Schau wohl abgewinnen: Nur schlechte Künstler wollen die totale Illusion und Immersion; echte Künstler beharren auf einer Reflexion des Bildseins im Bild!" Da trifft sich der Tenor der offenbar eindrucksvollen Schau "Lust der Täuschung" mit den Grenzen des ordentlichen Gebrauchsdichtertums, zu dem uns die WELT animieren will...
Wie hieß da Paragraph 3? "Fassen Sie sich kurz" Ok.
SchlussAusVorbei.
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