Aus den Feuilletons

Poesie eines Totengräbers

Thüringen, Gera: Grabsteine stehen auf dem Ostfriedhof.
Themen eines Totengräbers: Haltbarkeit von Särgen, unterschiedliche Verwesungsabläufe und Fristen der Wiederbelegung. © dpa
Von Paul Stänner · 06.01.2019
Die "FAZ" begeht das neue Jahr mit eindrücklichen Beschreibungen eines Wiener Totengräbers. Dieser berichtet von seinem Arbeitsalltag: "Wenn ich den Deckel einer Gruft aufmachen muss, schwimmen manchmal die Särge darin wie die Gurkerl im Einmachglas."
Zum Start in die Woche muss die Kulturpresseschau Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, auf die Kampfschrift eines – wie er sich selbst nennt – "alten weißen Mannes" aufmerksam machen: "Ich bin gegen die Frauenquote", schreibt Reinhard K. Sprenger in der WELT, "weil es (1.) kein Problem gibt, das sie lösen kann, sie (2.) in alte patriarchalische Denkmuster zurückfällt, (3.) Frauen faktisch schadet, (4.) nicht funktioniert und (5.) die Gesellschaft spaltet."
Sprenger ist Jahrgang 1953, also nicht so alt wie Trump, redet aber so. Und weiter: "Tiefer lotend aber diskriminiert sie (die Quote) Frauen. Sie ist ein Rückfall in patriarchalische Denkmuster: Frauen sind zu schwach, um den gesellschaftlichen Aufstieg aus eigener Kraft zu schaffen."

Zahlendramen und Behauptungsdespotismen

Reinhard Sprenger, im Hauptberuf Motivationstrainer und Führungsberater, würde uns gern von dem steinzeitlichen Denken der Frauenförderung befreien, wären da nicht die Medien, denn die "brauchen Probleme und Skandale, um über sie berichten zu können. Trends, detaillierte und vertiefende Analysen haben gegen Zahlendramen und Behauptungsdespotismen keine Chance." Das klingt irgendwie beleidigt und quengelig, eben: alter weißer Mann.
Robert Menasse, der Europaretter, kommt nicht aus den Schlagzeilen. Menasse hatte Walter Hallstein den Satz in den Mund gelegt, die Abschaffung der Nation sei eine europäische Idee. Das Zitat ist falsch. Menasse rechtfertigte sich, er habe Hallstein nur verdichtet.

"Gegen diesen staatenauflösenden Idealismus"

Ebenfalls in der WELT wird darauf hingewiesen, dass in der Gründungsphase der EU viel "nationenübergreifender Idealismus" im Spiel gewesen sei, dass aber die maßgeblichen Politiker wussten, dass Idealismus allein auch seine gefährliche Seite haben würde.
Gegen diesen staatenauflösenden Idealismus, wie er in Menasses Zusammenfassung aufscheint, argumentiert die WELT: "Vielerorts in Europa wollen viele Menschen an der Nation festhalten. Es stimmt natürlich, Nationen, auf sich allein gestellt, können heute nicht mehr viel bewegen. Deswegen sind supranationale Zusammenschlüsse nötig. Das ändert aber nichts daran, dass die geschrumpfte, die demolierte Nation ein Faktor bleibt."

Morbider Schmäh

Für die FAZ notiert Mario Schlembach "Gedanken eines Totengräbers über das menschliche Verschwinden". Schlembach ist Romancier und Totengräber auf dem Friedhof Grinzing in Wien. Er denkt darüber nach, wieviel von Thomas Bernhard mittlerweile eher in den umgebenden Bäumen vorhanden sei als in seinem Grab. Und wieviel von seiner Literatur in den nachfolgenden Generationen.
Überhaupt die Haltbarkeit, auch die von Särgen, die unterschiedlichen Verwesungsabläufe und die Fristen der Wiederbelegung – Themen eines Totengräbers. Und dann die Grüfte: "Wenn ich den Deckel einer Gruft aufmachen muss" – schreibt Schlembach – "schwimmen manchmal die Särge darin wie die Gurkerl im Einmachglas". So hinreißend morbide kann nur ein Wiener schreiben.

Sind Berliner Calvinisten?

In Berlin hat die taz einen Feuilletonisten mit der letzten Bahn durch die Nacht geschickt. Die schönste seiner Beobachtungen ist eine junge Französin, die sich am Telefon bei ihrem Gesprächspartner darüber beschwert, dass ein Kollege im Büro alle zwei Stunden stoßlüfte – ein Wort, dass sie deutsch ausspricht, wahrscheinlich gibt es keine französische Entsprechung.
Dann könne man frei atmen, leide dafür aber auch an Schnupfen und Kopfschmerzen. Ihre vermutlich katholisch fundierte Empörung gipfelt in dem Satz: "'Tu sais, ce sont des calvinistes ici.' – 'Das hier sind Kalvinisten.'" Eine religionswissenschaftliche Interpretation von Erkältungskrankheiten, wie sie nur in der Berliner Nacht ersonnen werden kann.
Wir wünschen allen theologischen Frauen und den quengeligen Männern eine schöne Woche.
Mehr zum Thema