Aus den Feuilletons

Podcasts statt Dudelfunk

04:14 Minuten
Vor einem Mischpult steht ein Mikrofon
Immer beliebter: Laut einer Bitkom-Umfrage hören 22 Prozent der Deutschen Podcasts. © Eyeem / Forest Run
Von Hans von Trotha · 05.03.2019
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Der "Tagesspiegel" kritisiert den "durchformatierten Dudelfunk", in dem das gesprochene Wort zugunsten von Hits und Werbung eher ab- als zunehme. Bei Deezer, Spotify und Audible sei das gesprochene Wort in Form von Podcasts dagegen sehr gefragt.
"177 Minuten hört der Deutsche im Durchschnitt Radio", weiß Kurt Sagatz im TAGESSPIEGEL. "Zieht man", fährt er fort, "von diesen knapp drei Stunden die Dauerberieselung mit 'der besten Musik der vergangenen Jahrzehnte' und die unvermeidliche Werbung zu jeder halben und vollen Stunde ab, kommt man beim Wortanteil vermutlich recht nahe an die 48 Minuten, die die Hörer des Audio-Streamingdienstes Deezer täglich mit der Nutzung von Podcasts verbringen. Denn während", so Sagatz, "im durchformatierten Dudelfunk das gesprochene Wort eher ab- als zunimmt, liegen bei Diensten wie Deezer, Spotify und Audible die Podcasts nach wie vor im Trend."

Warum man noch ins Theater gehen sollte

Wenn WELT-Redakteurin Hannah Lühmann gerade im Auto unterwegs ist, hört sie zwar sehr wahrscheinlich auch Radio, nicht aber diese Kulturpresseschau, da: "mein Autoradio aus irgendwelchen Gründen den von mir bevorzugten Sender Deutschlandradio Kultur nicht mehr reinkriegt."
Das hat dazu geführt, dass Hannah Lühmann, auf einem anderen Sender, ein Radio-Interview mit dem Berliner-Festspiele-Intendant Thomas Oberender gehört hat, den die Moderatorin, wie Lühmann sich beklagt, "im 'Hä-Gestus' zwang, zu erklären, was er denn bloß meine, wenn er sage, im Theater träte das Wissen unter die Menschen" und ihn fragte, "warum man sich in Zeiten von Netflix die Mühe machen sollte, noch ins Theater zu gehen. Oberender", so Lühmann, beantwortete die Frage brav: Es habe wohl damit zu tun, dass man Schauspieler liebe und dass Schauspieler "von Angesicht zu Angesicht zu sehen" doch noch etwas anderes sei als telefonieren oder fernsehen.

Die Sprachnachricht verdrängt das Telefonieren

Da scheint etwas an Oberender vorbeigegangen zu sein. Es wird nämlich kaum noch telefoniert, nicht mal mehr das. Das steht direkt daneben in derselben WELT. Dem Telefonieren den Garaus macht laut Peter Praschl die Sprachnachricht. Die, so Praschl, "wirkt ganz klein und unschuldig. Dabei ist sie die nervigste Innovation des Smartphone-Zeitalters".
"Es ist", so Praschl weiter, "und das" findet er, "ist das Perfide daran, ungeheuer einfach, solche Sprachnachrichten aufzunehmen. Man patscht auf ein Mikrophonsymbol und labert los, sobald man fertig ist, macht sich der Mikro-Podcast auf seinen Weg zum Empfänger."
Da ist er schon wieder, der Podcast - und tatsächlich beschwert sich Praschl, dass er "aus seiner Spotify-Playlist raus muss", wenn wieder so eine Sprachnachricht kommt - eine von über 200 Millionen täglich, allein auf WhatsApp. "Man muss", so Praschl, bei der Sprachnachricht "seine Wurstfinger nicht mehr über eine viel zu kleine Tastatur navigieren, nie wieder darüber nachdenken, wie man Tattoo schreibt."
Praschl beklagt, dass Sprachnachrichten "in einer Zeit, in der Kommunikation minimalinvasiv und symmetrisch stattfinden soll, wieder Hierarchien einführen: Der eine redet, der andere muss es sich ohne Widerrede anhören. Es ist ein Rückfall in eine Epoche, da man lieber zu Menschen sprach als mit ihnen. Da stellt sich schnell das Gefühl von Ohnmacht ein. Gewiss", so Praschls Fazit, "man könnte auch miteinander telefonieren. Aber wahrscheinlich wird es noch ein paar Jahre dauern, bis diese Funktion auf dem Telefon entdeckt wird."

Das poetische Schaffen F. W. Bernsteins

Oder man geht gleich ins Theater. Etwa in "Herr Lediglich und die Scheißkerle", ein Dramolett von F.W Bernstein, geschrieben in den 60er-Jahren, als "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch "Hochkonjunktur hatte" und nun in Gedenken an den im Dezember verstorbenen Bernstein in Frankfurt aufgeführt, wovon Andreas Platthaus in der FAZ erzählt. "Bernsteins Weg", schreibt Platthaus, "das war der Neue Frankfurter Schullehrpfad, das Einfallstor für Nonsensdichtung und -zeichnung in die jüngere deutsche Kultur."
"Neben Adolph Menzel der andere Berliner Dauerzeichner", nannte Hans Traxler F.W. Bernstein in Frankfurt, und Eckhard Henscheid befand: "33 Gedichte aus Bernsteins poetischem Schaffen solle man schon auswendig gelernt haben". Das klingt nach viel. Aber Andreas Platthaus verweist auf von ihm so genannte "Kurzstreckenmeisterwerke" im Bernstein-Oeuvre, von denen Sie eines alle kennen, nämlich: "Die schärfsten Kritiker der Elche / Waren früher selber welche" und Platthaus ein weiteres gleich mitliefert: "Der Untergang des Abendlandes? / Grad war’s noch da, und dann verschwand es".
Und hier zum Schluss noch eines, als Hörerservice - die anderen 30 müssen Sie sich dann aber schon selbst aussuchen: "Zu Mannheim stand ein Automat / um die Jahrhundertwende, / der jeden an das Schienbein trat, der dafür zahlte. Ende."
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