Aus den Feuilletons

Pläne für die Post-Corona-Zeit

06:18 Minuten
Bei fallenden Inzidenzzahlen und steigenden Temperaturen drängen sich viele Menschen in die Außengastronomie der Kölner Innenstadt.
Fast wie vor der Pandemie: Bei fallenden Inzidenzzahlen und steigenden Temperaturen drängen sich viele Menschen in die Außengastronomie. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt
Von Klaus Pokatzky · 05.06.2021
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Überall wird gelockert, sachte stellt sich Normalität ein. Doch einfach zum Zustand vor der Pandemie zurückkehren will der Schriftsteller Thomas Brussig nicht. Er fordert in der "SZ" einen extra Gedenktag mit Volksfest, Umarmungen und Vergebung.
"Man muss nicht lügen, um die Unwahrheit zu sagen", stand in der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG. "Und Halbwahrheiten sind noch schlimmer als Lügen." Wir sagen hier nur die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
"In den vergangenen zwölf Monaten hat YouTube mehr als vier Milliarden US-Dollar an die Musikindustrie gezahlt", erfuhren wir aus dem Berliner TAGESSPIEGEL. "Die Vergütungen von YouTube umfassen Zahlungen an Künstler, Autoren und Labels", so eine Meldung der Deutschen Presseagentur, dpa. "30 Prozent der Summe werden aber auch durch nutzergenerierte Inhalte von Anwendern und Anwenderinnen generiert."
Das generiert, also erzeugt, bei Menschen, die die deutsche Sprache lieben, ein nacktes Grauen. Früher wurden auch beim TAGESSPIEGEL Agenturmeldungen sauber bearbeitet, also redigiert: natürlich nicht generiert.

Vertrauen und Glauben riskieren

"Wieso darf der Kontrabass zuerst auf die Bühne?", fragt die FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG. "Er darf nicht, er muss", antwortet ganz entschieden Eleonore Büning. "So ein Bass kommt selten allein. Außerdem greift beim altehrwürdigen Ritual der Orchesteraufstellung allemal Matthäus 19, Vers 30. Darin heißt es: 'Die Letzten werden die Ersten sein.'"
Und die Bibel ist – Gott sei Dank – nicht von Redakteuren des TAGESSPIEGEL redigiert worden, die Bibel können wir alle verstehen. Das hilft beim Glauben, und den brauchen wir gerade in diesen Zeiten.
"Ohne jeglichen Glauben würde man sogar verkümmern", stimmte uns da natürlich CHRIST UND WELT, die Beilage der Wochenzeitung DIE ZEIT, zu. "Wer anderen sein Leben lang nicht nur skeptisch begegnen will, kommt nicht umhin, Vertrauen und Glauben zu riskieren", ermahnte uns Gerhard Feige.
"Ein Gedankenexperiment, das christliche, jüdische und muslimische Mystiker pflegten", legte uns die NEUE ZÜRCHER nahe: "Jeder Mensch hat einen göttlichen Funken in sich, auf dessen Suche er sich begibt", sagte die Schriftstellerin Elif Şafak im Interview. "Und dieser Funke beziehungsweise diese Suche ist es, was zugleich alle Menschen miteinander verbindet. Alle gehören zum selben Kreis, alle sind miteinander verbunden, niemand ist besser oder höher als ein anderer, niemand ist ausgeschlossen."
So kann Glaube ganze Gebirge versetzen.

Die Pandemie war sexuell konservativ

"Ein Jahr verordnetes Trübsalblasen sollte reichen", führt uns die WELT AM SONNTAG in das ganz reale Pandemieleben. "Nach Corona kommt die Ekstase", macht uns Jan Küveler aber zugleich Hoffnung. "Das Ende der Corona-Maßnahmen und die sich rasant verwirklichende Freiheit bieten die Chance, auch ältere Gewohnheiten übertriebener Selbstbeschränkung loszuwerden."
Und dann kommen wir auch wieder zu Gewohnheiten, die alt sind wie die Menschen selbst. "Die Pandemie war sexuell konservativ", lasen wir in der ZEIT. "Nie ist es so schwer gewesen, sich zu verlieben", meinte Jan Roß. "Die Nähe zum fremden Körper konnte zu einer Frage von Leben und Tod werden."
Aber das wird ja jetzt vielleicht alles wieder anders. "Wir brauchen einen Gedenktag für das Ende der Pandemie. Mit Volksfest, Umarmungen und Vergebung." So bereitete uns die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG schon mal vor.
"Ein Gedenktag würde nicht nur der fast hunderttausend Deutschen gedenken, die während der schlimmsten Naturkatastrophe der vergangenen hundert Jahre starben, sondern auch im Jahresrhythmus stets jeglichen neuen Überlegungen und Bewertungen Anlass und Bühne bieten", regte der Schriftsteller Thomas Brussig an.
"Denn diese Zeit des gesellschaftlichen Ausnahmezustandes, den uns das Virus aufzwang (es wird auf fünfzehn, sechzehn Monate hinauslaufen), war für uns alle eine prägende Erfahrung, die fortlaufend nach Reflexion und Selbstvergewisserung ruft."

Emotion, Ekstase, Egozentrik

Aber gute Musik muss auf jeden Fall dabei sein. "Es denken alle in Sprache, aber nur wenige in Musik", stand in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Jedes Mal, wenn ich ein großartiges Musikwerk höre, denke ich, das ist nicht in Worte zu fassen", sagte im Interview der Schriftsteller Ilija Trojanow. "Die Glücklichsten unter den Künstlern sind, so bilde ich es mir ein, Musiker und Musikerinnen in jenem Moment des Gelingens, des Versinkens, des Abhebens."
Also heben wir ab – mit einer der hoffentlich allerglücklichsten Musikerinnen. "Die bedeutendste Pianistin des 20. Jahrhunderts", nannte sie die SÜDDEUTSCHE; "scheu und kühn zugleich", die FRANKFURTER ALLGEMEINE; "ihre Klavierkunst ist eine einzigartige Mischung aus Emotion, Ekstase, Exzentrik", gratulierte die Tageszeitung DIE WELT Martha Argerich zu ihrem 80. Geburtstag.
"Geboren wird sie am 5. Juni 1941 in Buenos Aires als Tochter einer Einwandererfamilie mit russisch-jüdischen und katalanischen Wurzeln", lasen wir in der NEUEN ZÜRCHER. "Im Kindergarten spielt die zweieinhalbjährige Marthita eines Tages völlig fehlerfrei Melodien nach, die sie irgendwo aufgeschnappt hat. Das Spielzeugklavier, das ihr der Vater daraufhin kauft, wirft sie voller Empörung über die Missachtung ihres kindlichen Könnens auf den Boden", schrieb Julia Spinola.
"Argerich bringt auch Lateinlehrer in Wallung", hieß es in der SÜDDEUTSCHEN – deren Bild von Lateinlehrern wir jetzt hier nicht vertiefen wollen. Denn Helmut Mauró würdigt bei Martha Argerich immerhin: "Ein charmanter Furor, der auch jene Zuhörer mitreißt, die das Konzert mit geschürzten Lippen und gemessener Emphase verfolgen."
Glückwunsch!
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