Aus den Feuilletons

Pfoten weg!

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Gestellte Aufnahme vom 01.11.2008 in Kronberg.
Keine Ausnahmeerscheinung: Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz © picture alliance / dpa / Heiko Wolfraum
Von Gregor Sander · 11.03.2015
"Ich will nicht" sagen − das empfiehlt Ina Hartwig gegen sexuelle Belästigung. Die souveräne Selbstbehauptung drohe zu verschwinden, meint die Literaturkritikerin in der neuen Ausgabe der "Zeit".
Ina Hartwig hat genug. Als "Wahnsinnig sensibel" bezeichnet sie in der Wochenzeitung DIE ZEIT ihrer Landsleute und erklärt auch, warum: "Letzte Woche machte das Ergebnis einer Umfrage über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz die Runde; was heißt, die Runde? Die Medien stürzten sich darauf, als handelte es sich um eine brennend wichtige Nachricht. 'Sexuelle Belästigung ist Arbeitsalltag', meldete beispielsweise die Tagesschau. Eine Berliner Tageszeitung titelte auf Seite eins: 'Jeder Zweite erlebte sexuelle Belästigung'".
Nun kann man die ZEIT ja auch zu den Medien zählen und Ina Hartwigs Polemik steht zudem auf Seite eins des Feuilletons. Aber Hartwig will eben nicht mit einstimmen in den Chor, wenn sie fragt: "Was passiert denn hier gerade? Welche 'Erzählung' verbirgt sich hinter einer Statistik, die sich den Mantel der Gesellschaftskritik umwirft?" Und dann erklärt sie uns, wie das früher so war und da war ja bekanntlich nicht alles schlecht: "Wir müssen allmählich in Nostalgie verfallen darüber, dass die souveräne Selbstbehauptung aus dem sexualmoralischen Diskurs der Gegenwart zu verschwinden droht. Das ist in der Tat ein Paradigmenwechsel. Die Öffentlichkeit soll 'sensibilisiert' werden, statt dass sich ein Einzelner, eine Einzelne hinstellt und uns sagt: 'Ich will.' – 'Ich will nicht.' Er oder sie könnte zum Beispiel sagen: 'Pfoten weg.' Oder: 'Starren Sie mich nicht so an.' Oder: 'Ihre Busenbilder gehen mir auf die Nerven.' Oder zurückgrinsen. Aber nein, wir sollen lernen, bei wem wir uns beschweren können."
Aber was machen dann die, die nicht so mutig sind wie Ina Hartwig und sich trotzdem diskriminiert fühlen? Diese Frage bleibt unbeantwortet.
Verneigung vor dem Architekten Frei Otto
Hochdotiert: Der deutsche Architekt Frei Otto erhielt 2006 vom japanischen Kaiserhaus den Praemium Imperiale in Tokyo. Posthum wird er mit dem Pritzker Preis geehrt.
Hochdotiert: Der deutsche Architekt Frei Otto erhielt 2006 vom japanischen Kaiserhaus den Praemium Imperiale in Tokyo. Posthum wird er mit dem Pritzker Preis geehrt.© picture alliance / dpa / epa David Coll
Alle Feuilletons verneigen sich vor dem am Montag verstorbenen Architekten Frei Otto. "Er träumte Luftschlösser nicht. Er hat sie gebaut", schreibt Werner Sorbek in der Tageszeitung DIE WELT. Sorbek leitet heute das von Frei Otto gegründete Institut für Leichtbau der Universität Stuttgart und betont die Bedeutung der Biografie für die Bauten des 1925 geborenen Frei Ottos:
"Wichtige Erlebnisse waren das Segelfliegen als Student, seine Ausbildung zum Kampfpiloten im Zweiten Weltkrieg und vor allem seine Zeit als Kriegsgefangener, während der er (in Chartres) an der Entwicklung kostengünstiger Häuser in Leichtbauweise beteiligt war. So fand er zum Thema seines Lebens, dem Leichtbau."
Das berühmteste Bauwerk Frei Ottos war das Zeltdach des Münchner Olympiastadions und auch wenn sich Claudius Seidel in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG tief vor dem Meister verneigt, gibt er zu bedenken: "Wer jemals unter dem Zeltdach saß während eines Spiels des FC Bayern, der hatte eine miserable Sicht aufs Spiel und eine wunderbare Sicht nach oben."
Tobias Krone von der TAZ ruft Frei Otto nach: "Selten hat Architektur das Image Deutschlands so positiv geprägt, dem Denken gleichzeitig so konsequent Flügel verliehen wie Ottos Himmelszelte."
Mit dem Beginn der Buchmesse in Leipzig hat Martin Suter mit seinem neuen Roman "Montecristo" die Spitze der SPIEGEL-Bestsellerliste erreicht. "Suters Stammplatz", wie Christopher Schmidt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG feststellt. Ein junger Filmemacher will im Roman ein Remake des "Grafen von Monte Christo" drehen und deckt dabei die Machenschaften der Finanzwelt auf. Das ist, so Schmidt, ein "Wunderwerk der Konstruktion. Herrlich allein schon, wie er das Motiv der Schatzsuche in allen Varianten durchspielt, von der Geheimschublade in einer asiatischen Statue über das Bankschließfach bis zum Computer-File. Und dass Suter die Spur irgendwann erkalten lässt wie eine schlecht angerauchte Montecristo, darin besteht sein bester Trick."
Nebenbei werden, wie immer bei Suter, auch Rätsel geklärt, die nicht unbedingt auf den Nägeln brennen, aber trotzdem amüsant sind. Zum Beispiel wie viel Geld eigentlich 8,4 Milliarden in Hundert-Franken-Scheinen sind: "Ein Lastwagen voll, achtzehn Paletten."
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