Aus den Feuilletons

Pandemiebekämpfung auf Kosten der Jungen

04:20 Minuten
Eine junge Frau sitzt mit dem Kopf auf den Knien an eine Wand gelehnt.
Die negativen Folgen der Pandemiebekämpfung hätten vor allem die Jüngeren in der Gesellschaft zu tragen, schreibt die "FAZ". © picture alliance / Viktor Gladkov
Von Hans von Trotha · 18.03.2021
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Der Philosoph Markus Willaschek stellt in der "FAZ" fest, dass die Menschheit nicht erfolglos gegen die Pandemie kämpfe, aber der Preis insbesondere für Kinder und Jugendliche sehr hoch sei und dies gesellschaftlich kaum genug gewürdigt werde.
"Kann das die Strategie sein: Abwarten und Tee trinken, bis nichts mehr geht?", fragt Christian Geyer in der FAZ. Man meint natürlich gleich, es sei die Pandemie gemeint. - Keine Sorge, die kommt gleich noch. Aber Geyer geht es um eine andere Form der verheerenden Bedrohung vieler: um Missbrauch in der katholischen Kirche.
Immerhin bemerkt er: "Persönliche Konsequenzen haben aufgehört, denkunmöglich zu sein." Geyer zitiert den römischen Jesuiten Hans Zollner: "Missbrauchstäter hätten in klassischer moraltheologischer Sicht immer schon und überall hart bestraft werden müssen."

Kardinal Meisners "Brüder im Nebel"

Geyer empfiehlt Verantwortlichen "die Devise: Ich biete meinen Amtsverzicht an, weil ich heute Verantwortlichkeiten erkenne, die mir damals egal waren, oder denen ich mich womöglich auf die Tour von Kardinal Meisner entledigt habe, der belastendes Material gegen Kleriker seines Sprengels in einem Geheimdossier 'Brüder im Nebel' aufbewahrte, öffentlich beteuernd, er habe ja 'nichts geahnt, nichts geahnt'. Die Nebel", kommentiert Geyer weiter in der FAZ, "lichten sich."
Das gilt für die Pandemielage leider schon wieder nicht. Aber wir tun so. Weil wir nicht mehr anders können. Das geht den Feuilletons auch nicht anders. Zu Kunst, Leben und Liebe in Zeiten der Pandemie ist alles gedacht und noch mehr gesagt worden. Ab jetzt wird Bilanz gezogen.

Die Kosten der Pandemie und die Jugend

In der TAZ bemerkt Kirsten Riesselmann: "Das Ich-will-mein-Leben-zurück-Fenster, das sich durch die Schulöffnung aufgetan hat, schließt sich schon wieder" - womit wir wieder bei einer Opfergruppe wären, die sich selbst nur schwer wehren kann und Fürsprecher braucht - wobei sie in dem Frankfurter Philosophen Marcus Willaschek einen gefunden hat: "Wer applaudiert der Jugend?", fragt der in der FAZ und konstatiert: "Was uns die Pandemie kostet, darf nicht auf die nächste Generation abgewälzt werden."
"Anders als zu Zeiten von Pest, Cholera oder Spanischer Grippe bemüht sich die Menschheit zum ersten Mal in ihrer Geschichte, den Verlauf einer weltweiten Pandemie aktiv zu steuern und zu beherrschen", schreibt Willaschek, "und das trotz aller Fehler und Rückschläge nicht ohne Erfolg."
Doch: "Der Preis für diesen Erfolg ist hoch." Die "gesellschaftlichen Folgen der Pandemiebekämpfung" hält Willaschek für "verheerend: Kinder, die monatelang nicht zur Schule gehen, Jugendliche, die sich in ihren Zimmern einigeln, Familien am Rande des Nervenzusammenbruchs, Musikerinnen ohne Publikum, Einzelhändler ohne Kunden, Restaurants ohne Gäste. Millionen beruflicher Existenzen sind gefährdet, und das trotz milliardenschwerer Hilfsprogramme, die die öffentlichen Haushalte noch in Jahrzehnten belasten werden."
Willaschek beklagt, es werde "gesellschaftlich nicht genügend gewürdigt, in welchem Ausmaß die Pandemiebekämpfung zulasten der Jüngeren in unserer Gesellschaft geht". Es sei "nur wenig übertrieben, wenn man die Pandemiebekämpfung in Deutschland als eine gewaltige Anstrengung zur Lebensrettung älterer Menschen beschreibt, deren negative Folgen nicht nur, aber doch zu einem besonders großen Teil die Jüngeren und Jüngsten zu tragen haben."

Wo Solidarität und Selbstschutz zusammenfallen

In der SÜDDEUTSCHEN wirft Gustav Seibt im Modus des vorauseilenden Post-Pandemikers den Liberalen ein lässiges "Nimm das, FDP" hin. Ausgehend von der Diagnose: "Identitätsstreit, Verwaltungselend, Staatsphlegma" fragt er: "Wird der Liberalismus seine Chance nutzen?"
"Allerdings", bemerkt Seibt, "hat die Gesundheitskrise auch die Falle, die der triviale Affekt vieler Liberaler gegen 'Verbote' bedeutet, neu veranschaulicht. Denn in der Pandemie sind die Einzelnen als Glieder von Ansteckungsketten nicht nur Individuen: Sie sind Teil einer 'Herde', an deren Immunität alle interessiert sein müssen. Solidarität und Selbstschutz fallen bei Infektionskrankheiten zusammen."
Seibt träumt von einem "vernünftigen und höflichen - Liberalismus". Und: Liberalismus, das sei "auch die Bereitschaft, mit dem Vorläufigen zu leben, und gerade darum immer wieder etwas Neues zu versuchen. Der Neustart nach der Krankheit sollte", so Seibt weiter, "ein Moment der Befreiung werden."
Aber das dauert halt noch. "Aber wir tun weiter tapfer so", heißt es bei Kirsten Riesselmann in der TAZ, "als hielten Frühling und Post-Corona-Ära Einzug. Tief atmen wir durch. Nutzen die Möglichkeiten. Das Luftholen tut so gut. Ist so schön."
Aber ist halt leider noch nicht dran.
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