Aus den Feuilletons

Ohne Zugang zum Wissen

04:12 Minuten
Auf einem Computerbildschirm ist das Logo der deutschen Version der freien Enzyklopädie Wikipedia durch eine Lupe vergrößert auf einem Computerbildschirm zu sehen.
Wikipedia schaltet sich im Protest gegen EU-Urheberrechtsreform am 21. März 2019 für 24 Stunden ab. © dpa-Zentralbild - Foto: Peter Zimmermann
Von Gregor Sander · 20.03.2019
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Während die "Welt" Wikipedia die Demokratisierung des Zugangs zum Wissen zuschreibt, ist die "FAZ" der Meinung, dass die Online-Enzyklopädie durch ihren Streik wegen der EU-Urheberrechtsrichtlinie unobjektiv und unglaubwürdig wird.
Natürlich feiert einer wie Slavoj Žižek seinen Geburtstag nicht. "Ich werde versuchen, gar nicht als Person zu existieren, sondern als ein Werkzeug der Verwirklichung dieses Buches.", ließ er zum Jubiläum verlauten. René Scheu von der NEUEN ZÜRCHER ZEITUNG kniet trotzdem nieder:

"Der Unermüdliche, der Unbequeme, der Unerziehbare"

"Möge Slavoj Žižek, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, nicht altersmilde werden. Wenn er eine Mission hat, dann die: der Stachel im Fleisch der saturierten Elite zu sein. Lang lebe Žizek, der Unermüdliche, der Unbequeme, der Unerziehbare."
Reichlich uncharmant formuliert die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG in der Überschrift ihres Geburtstagsständchens:
"Slavoj Žižek, der berühmteste linksliberale Kritiker des Linksliberalismus, wird 70. Brauchen wir ihn noch?"

Paraderolle als Gutbürgerschreck

Wenigstens beantwortet Jens-Christian Rabe diese Frechheit eindeutig:
"Im Zweifel ist ihm alles Material, um lustig und scharfsinnig die Frage 'Wo stehen wir?' zu klären. Und weil auf oft denkbar originelle Art am Ende die Antwort immer 'Nicht da, wo wir glauben zu stehen' lautet, ist sehr zu wünschen, dass Žižek noch eine gute Weile weiterarbeitet, auch wenn er in Zeiten von Trump und Rechtspopulismus seine Paraderolle als Gutbürgerschreck nicht mehr ganz so überzeugend spielen kann."
48 englischsprachige Erstveröffentlichungen seit 1989 des in Slowenien geborenen Philosophen hat der SZ-Autor bei Wikipedia gezählt. Hätte er dies am Donnerstag versucht, hätte er in die Röhre geguckt, denn Wikipedia streikt für einen Tag. Aus Protest gegen die europäische Urheberrechtsrichtlinie. Was Lukas Schneider in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG verurteilt:

Streiken ohne Grund

"Durch die Abschaltung der Seite für eine politische Kampagne verrät die Wikipedia ihr Ziel der Objektivität und büßt ihre Glaubwürdigkeit ein. Die Aktion könnte man vielleicht noch rechtfertigen, wären Online-Enzyklopädien von der Urheberrechtsnovelle betroffen. Doch das sind sie nicht. Artikel 2 der Richtlinie schließt Angebote wie das der Wikipedia explizit aus."
Nicht ganz so streng sieht das Peter Praschl von der Tageszeitung DIE WELT. Er mag sich eine Welt ohne Wikipedia gar nicht mehr vorstellen:
"Wie sollte man dann herausfinden, wie groß das Herz eines Blauwals ist, warum sich beim Telefonieren das Wort 'Hallo' gegen das Wort 'Ahoi' durchsetzte oder was es mit der 'Pizza Berlusconi' der finnischen 'Kottipizza'-Kette auf sich hat?"
Wikipedia habe den Zugang zum Wissen demokratisiert, schwärmt der WELT-Autor und fordert:
"Vielleicht sollte man ihr das Streiken verbieten. Und als Kompensation den Friedensnobelpreis verleihen."

Buchbesprechung als Rache

Auf den Literaturnobelpreis hat es Thomas Gottschalk noch nicht abgesehen, aber immerhin auf eine eigene Literatursendung im Bayerischen Rundfunk. Vorab gab er schon einmal bekannt: Dies sei seine Rache am Feuilleton, weil die Kulturseiten ihn nie so richtig geliebt hätten. Auf die Mütze gibt es von denen natürlich trotzdem. Etwa von Daniel Haas in der NZZ:
Nachdem Vea Kaiser vorauseilend den Plot ihres Buchs "Rückwärtswalzer" zusammengefasst hat, erklärt Gottschalk seine Freude an ein paar Nebenfiguren: "Jeder hat so Tanten, diese Tanten prägen einen fürs Leben." Das ist so, als ob man sagen würde: "'Moby-Dick', super, ich hatte als Kind ein Aquarium."
Und auch Carola Schwarz von der TAZ hebt streng den Zeigefinger:
"Mit fünf oberflächlichen Fragen kann man vielleicht einen Hollywood-Star abspeisen, der seinen Film bewerben will; wenn es allerdings um Literaturbesprechungen geht, reicht das nicht aus."

Kein literarischer Lanz

Als einziger zufrieden zeigt sich Lars Weisbrod von der Wochenzeitung DIE ZEIT:
"Gottschalk liest? ist also wie Lanz, nur ohne Weltreisende und Robin Alexander. Kann das funktionieren? Ganz unironisch: Ja klar. "Du hast", sagt Gottschalk zu Sarah Kuttner, "völlig zu Recht erkannt, dass Diätmilch den Kaffee grau macht. Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht: Dann kennt sie sich auch im Rest der Welt aus."
So geht Literatur-Talk, meint Weisbrod. Und wenn sie sich jetzt fragen, wer Robin Alexander ist, dann gucken sie doch vielleicht bei Wikipedia nach. Aber erst wieder ab Freitag!
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