Aus den Feuilletons

Özil und das Phänomen Doppelherz

Südkorea gewinnt 2:0 gegen Deutschland: ein enttäuschter Mesut Özil beim Vorrundenspiel der Gruppe F am 27.06.2018 in Kasan, Kasan-Arena bei der Fußball Weltmeisterschaft 2018 in Russland
Mesut Özil bei der Niederlage der DFB-Elf gegen Südkorea im Vorrundenspiel der Fußball-WM 2018 in Russland © picture alliance / dpa / Sven Simon
Von Tobias Wenzel · 29.07.2018
Die Causa Özil beschäftigt auch weiterhin die Feuilletons. Friedrich Küppersbusch fragt in der "taz": Ist das biodeutsche Herz groß genug für Leute mit zwei Herzen? Und Matthias Heine meint in der "Welt", Deutschsein beruhe nicht auf Freiwilligkeit.
"Was hätte Erdoğans Pressestab anders formuliert an Özils Abschiedstweet?", fragt Friedrich Küppersbusch in der TAZ und gibt selbst die Antwort: "Womöglich: wenig. Özil beruft sich auf die Werte seiner Mutter, die offenbar gerade Urlaub hatte, als er mit Offshore-Firmen Steuern hinterzog."
Allerdings hat Küppersbusch auch etwas Gutes im Fall Özil ausgemacht: "Wir reden nicht mehr über einen technischen Terminus 'Doppelpass', sondern über das Phänomen 'Doppelherz', und wir Biodeutschen müssen gucken, ob unser Herz groß genug ist für Leute mit zwei Herzen."

Hashtag MeTwo

Und da wären wir also wieder beim neuen Hashtag MeTwo ("Two" für zwei Zugehörigkeiten). Matthias Heine ist der Sohn einer Deutschen und eines italienischen Gastarbeiters, verrät er in der WELT. Menschen, die auf die im Internet geschilderten Rassismuserfahrungen in Deutschland patzig abwertend reagieren, sind für Heine einfach nur "Kotzbrocken".
No To Racism Banner in einem Fußballstadion.
Die Schilderung rassistischer Erfahrungen unter dem Hashtag #MeTwo sorgt für Aufregung. Die Reaktionen reichen von "zuhören" bis "abwehren".© imago sportfotodienst
Trotzdem hegt er einen "Widerwillen" gegen den neuen Hashtag: "Die meisten Dinge, die unter #MeTwo berichtet werden, sind nicht schlimmer als das, was früher auch Herkunftsdeutsche erleben konnten, wenn sie dick waren, Brillen oder Zahnspangen trugen. Daneben liest man viel über Spott und Gemeinheiten, die aufgrund sprachlicher und kultureller Differenzen ertragen werden mussten."
"Ach. Als ich in den Sechzigerjahren von Kassel in ein Dorf bei Braunschweig zog, war ich dort auch erst mal ein Außenseiter, weil ich anders sprach und anders angezogen war. Zwei Jahre lang wurde ich nach der Schule verprügelt. Bis ich dem Oberprügler irgendwann den Ranzen an den Kopf schlug und er liegen blieb. Danach war Ruhe, und deshalb muss ich heute nicht mehr darüber twittern."

"Deutschsein beruht nicht auf Freiwilligkeit"

Obwohl er auch aufgrund seines Migrationshintergrundes gedemütigt worden sei, zum Beispiel, wenn ihn seine eigene Großmutter "Italienerbalg" nannte, sei er nie auf die Idee gekommen, "beleidigt wegzugehen aus dem Deutschsein: Manche von den Özil-Solidarisierern und #MeTwo-Stuhlkreisteilnehmern flirten nun mit dieser Option. Aber wer solches Identitätshopping für möglich hält, hat so wenig verstanden wie die Rechten. Die Idee, Deutscher zu sein, beruhe auf Freiwilligkeit, ist neumodischer Quatsch."
Steve Bannon, der ehemalige Chefstratege von US-Präsident Trump, spricht bei einer Veranstaltung der Schweizer «Weltwoche».
Er will mit seiner neuen Stiftung der Europäischen Union den Todesstoß versetzen: Steve Bannon.© dpa-Bildfunk / KEYSTONE / Ennio Leanza

Steve Bannons Stiftung

Apropos die Rechten. Michael Göring, Leiter der ZEIT-Stiftung, bekommt Bauchschmerzen, wenn er daran denkt, dass Steve Bannon, der frühere Chefberater Donald Trumps, eine Stiftung in Europa plant. "Am Ende soll seine Stiftung der Europäischen Union den Todesstoß versetzen", schreibt Göring nun in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG.
"Das Ziel, den Zusammenbruch, das Ende der EU, zu 'stiften', konterkariert jeden Stiftungsgedanken. Wer stiftet, setzt gemeinhin etwas ein, startet etwas Neues, verbessert den Status quo und ist dabei dem alles bestimmenden Ziel verpflichtet, das Gemeinwohl zu fördern und zu stärken."
Buchcover Jens Hacke: "Existenzkrise der Demokratie"
Jens Hacke: "Existenzkrise der Demokratie"© Suhrkamp / Ullstein
Dirk Lüddecke lobt in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG "Existenzkrise der Demokratie" von Jens Hacke als ein "kluges Buch zur politischen Ideengeschichte der liberalen Demokratie" und "zur antidemokratischen und illiberalen Bedrohung der Gegenwart". Zwar habe die Weimarer Republik mit traumatischen Nachkriegserfahrungen und Weltwirtschaftskrise andere Herausforderungen gehabt als wir in der Gegenwart mit Globalisierungsfolgen und Migration.

"Geschichte wiederholt sich zwar nicht, aber sie reimt sich."

Aber, so Lüddecke, "die antiliberalen Antworten scheinen, erbärmlich wie sie sind, immer dieselben zu bleiben: Homogenisierungsdruck und nationaler Eigensinn, gesellschaftliche Entdifferenzierung, Aushöhlung von Gewaltenteilung, Abbau individueller Bürgerrechte, ökonomische Abschottung und nicht zuletzt eine Neigung zu autoritären Herrschaftsformen, gespeist aus der Verachtung für Parteien und die mitunter schwierigen Prozeduren parlamentarischer Demokratie."
Fazit in Form eines Gedankens von Mark Twain: "Geschichte wiederhole sich zwar nicht, aber sie reime sich."
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