Aus den Feuilletons

Obama-Biografie von Künstlicher Intelligenz geschrieben?

04:23 Minuten
Der frühere US-Präsident Barack Obama.
Eine Biografie über den früheren Präsidenten der USA lässt sich so seltsam lesen, dass einige glauben, sie sei das Produkt Künstlicher Intelligenz. © imago images / ZUMA Wire / 60 Minutes
Von Arno Orzessek · 22.11.2020
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Im Netz kursiert eine Biografie über Barack Obama. Sie avancierte zum Bestseller. Dabei ist fraglich, ob sie von einem Menschen oder einer Maschine geschrieben wurde. Woran man das zu erkennen glaubt, kann man in der "Welt" nachlesen.
"Sie flogen aufeinander, aber nicht lange miteinander", heißt es in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. "Sie", das sind Paul Celan, der an diesem Montag 100 Jahre alt geworden wäre, und Ingeborg Bachmann. Der FAZ-Autor Jochen Hieber stellt ein "sensationelles Foto" vor, das Celan und Bachmann 1948 in einem Wiener Atelier in einem Doppeldecker aus Pappmaché zeigt.
Sensationell ist das Foto laut Hieber, "weil es das Einzige ist, das die beiden berühmtesten Dichter der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur als Paar, als Liebespaar zeigt – zu einem Zeitpunkt freilich, zu dem sie jenseits der Wiener Künstlerszene noch völlig unbekannt waren".

Die Geschichte einer Liebe

Hieber skizziert die Geschichte des Fotos und die Geschichte der Liebe – und Letztere ist die Traurigere:
"Was ist aus dem beabsichtigten Hoch- und Steilflug des Frühsommers 1948 geworden? Literarisch ganz gewiss eine Mondlandung, denn sie wie er haben in ihren relativ kurzen Dichterleben jeweils Großes, Wegweisendes vollbracht und sich dabei wechselseitig befördert, ja: aneinander entflammt. Biografisch gelang der gemeinsame Aufschwung nicht. Nahezu zwei Jahrzehnte lang werden sie sich immer wieder treffen, immer wieder trennen, sich immer aufs Neue suchen und finden, um einander schließlich final zu verlieren."
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG widmet Celans 100. Geburtstag eine Sonderseite. Hervorheben möchten wir Helmut Böttigers Artikel "Wie die Gräber klingen". Okay, der Titel klingt ein bisschen nach Drama-Kitsch. Aber was Böttiger über Celans "Sprachmelodie" schreibt, das lässt sich lesen:
"'CELLO-EINSATZ / von hinter dem Schmerz': So lautet der Beginn eines Gedichts von Paul Celan. Wenn man an ein Instrument denkt, das seine Gedichte am besten charakterisiert, bietet sich tatsächlich sofort das Cello an, und der Schmerz, den Celan selbst damit assoziiert, scheint naheliegend zu sein. Allerdings: Es geht in diesem Gedicht um einen Bereich 'hinter dem Schmerz', und worum es sich dabei genau handelt, was sich 'hinter dem Schmerz' befindet und wie das auszudrücken ist, das berührt den Kern von Celans Poesie."
Alles Weitere in der SZ.

Computergenerierte Texte werden immer besser

Wir wechseln die Textgattung. Barack Obamas Autobiografie ist ja in aller Munde. Die Tageszeitung DIE WELT berichtet nun über eine Obama-Biografie, die sich im Netz gut verkauft, aber laut Christian Meier hochgradig obskure Merkmale hat:
"Herausgegeben hat die Trittbrettfahrer-Biografie ein Verlag namens 'University Press', was seriös klingt, durch das Fehlen einer Angabe, zu welcher Universität dieser Verlag denn gehört, jedoch konterkariert wird. Ein Autor ist im Buch ebenfalls nicht genannt, es gibt kein klassisches Impressum, keine ISBN-Nummer."
Und nun wird in den USA diskutiert, ob künstliche Intelligenz das Buch geschrieben hat. Damit Sie sich ein Urteil bilden können, hier die ersten Sätze, übersetzt von Christian Meier:
"Barack Obama weckt starke Meinungen. Für einige ist er eine gediegene Figur, die verehrt und bewundert werden sollte. Für andere ist er ein verachtetes Symbol von Versagen und Korruption. Unabhängig von den politischen Tendenzen eines Menschen ist Obama aber ein Symbol der Veränderung – zum Guten oder Schlechten."
Na… KI oder nicht KI? Gewählte Wörter wie "gediegen" – englisch sterling – weisen laut einem wissenschaftlichen Computer-Testprogramm aus den USA auf menschliche Autorschaft hin. Trotzdem hat der WELT-Autor Meier recht: "Computergenerierte Texte werden besser, und die Technologie dahinter ist ein Geschäftsmodell."
Und was machen wir an diesem Montagabend? Die TAGESZEITUNG empfiehlt in ihrem Tagestipp den Streifen "Indiana Jones I" auf Kabel 1 und erklärt dazu sehr putzig: "Es gibt Filme, die sollte man nur als Filme genießen, nicht als Fenster zur Wirklichkeit."
Eine Alternative wäre die Lektüre von Celan-Gedichten. Hier zum Schluss eine Probe:
Ich kann Dich noch sehn: ein Echo,
ertastbar mit Fühl-
wörtern, am Abschieds-
grat.
Dein Gesicht scheut leise,
wenn es auf einmal
lampenhaft hell wird
in mir, an der Stelle,
wo man am schmerzlichsten Nie sagt.
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