Aus den Feuilletons

Nick Caves öffentliche Traumatherapie

04:19 Minuten
Nick Cave auf der Bühne. Düstere Lichtverhältnisse.
Nick Caves Album "Ghosteen" begeistert SZ-Autor Thomas Bärnthaler. © picture alliance/dpa | Eugene Odinokov
Von Arno Orzessek · 09.10.2019
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"Ghosteen" heißt "das neueste Kapitel von Nick Caves öffentlicher Traumatherapie", wie wir in der "Süddeutschen Zeitung" lesen können. Es sei bewusstseinserweiternd und haarsträubend intensiv.
Auch in den frischen Feuilletons wird wieder gemäkelt und gemotzt, wir aber wollen uns heute auf Belobigungen konzentrieren.
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG lobt zum Beispiel "Ghosteen", das neue Album von Nick Cave. Laut Thomas Bärnthaler dürfen die Hörer mit "einer bewusstseinserweiternden Erfahrung von buchstäblich haarsträubender Intensität" rechnen. Und weiter heißt es in der SZ:
"Zeige deine Wunde, hat Joseph Beuys einst gefordert. 'Ghosteen' ist das neueste Kapitel von Caves öffentlicher Traumatherapie. Nie klang er verletzlicher, nie mehr bei sich. Und nur innerlich Versteinerte werden das als Kitsch missverstehen."

Ernst Friedrich Schumacher wiederentdecken

Unter dem Titel "Lest Schumacher!" lobt die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG den britischen Ökonomen Ernst Friedrich Schumacher.
Dessen Werk "Small is beautiful" von 1973, das der Oekom-Verlag gerade neu aufgelegt hat, ist aus Sicht von Christian Geyer nichts weniger als "ein Bestseller, der die Welt retten kann".
Warum das so ist, geht aus dem Artikel nur vage hervor. Aber immerhin kapiert man: Der Wachstumskritiker Schumacher war kein extremistischer Haudrauf und verstand sein Weltrettungskonzept als eine "Mehr-Generationen-Agenda".
"Schumachers Gewitztheit, seine Intelligenz und Lebenserfahrenheit verboten ihm, sich vor den Karren einer Radikalisierung des 'Jetzt oder nie' spannen zu lassen", betont Geyer, als schwirrte ihm Great Thunberg im Geiste herum. "Bei aller Freiheit der Reflexion blieb Schumacher am Ende auf demokratische Prozesse und die Legitimation durch Verfahren (statt durchs schiere Bauchgefühl) festgelegt. Während, so schrieb er damals, 'jeglicher Fanatismus eine Schwäche des Denkens bloßlegt, ist ein Fanatismus, der auf Wege gerichtet ist, die zu völlig ungewissen Zielen führen, purer Schwachsinn.'"

Wissenswertes über die Chemie-Nobelpreisträger

Im Übrigen belobigt die FAZ unter dem Titel "Der Urknall in Volt" auch Stanley Wittingham, John B. Goodenough und Akira Yoshino, jene Wissenschaftler, die für die Entwicklung von Lithium-Ionen-Akkus den Chemie-Nobelpreis erhalten.
Der Artikel von Manfred Lindinger dürfte mehr chemisches Fachwissen gerade über das patente Alkalimetall Lithium im FAZ-Feuilleton ausbreiten als ganze Jahrgänge zuvor. Aber obwohl wir den Anteil von Lithium-Batterien an der Weltrettung niemals leugnen würden, drängt es uns doch mehr zur Kultur.

Metaphern-Kitsch à la Heller

Und deshalb schlagen wir die Wochenzeitung DIE ZEIT auf. Erscheinungsbedingt leicht verspätet, huldigt André Heller der verstorbenen Sopranistin Jessye Norman und gerät in ekstatisches Schwärmen. Das könnte uns bei Jessye Norman auch passieren, nur hoffentlich, ohne dabei Metaphern-Kitsch à la Heller zu bemühen.
Heller erinnert sich nämlich daran, dass ihm als Kind – die Großmutter hatte eine Platte der rumänischen Opernsängerin Maria Cebotari aufgelegt – der Gedanke kam, "dass die Wolken von der Macht des Gesanges bewegt würden". Und nun legt er in der ZEIT los wie folgt:
"Manche Sängerinnen und Sänger wie Elisabeth Schwarzkopf oder Luciano Pavarotti oder Jessye Norman fegen mit ihrem Genie die Himmel leer, und ihnen verdanken wir die makellosesten Tage und jene seligmachenden Nächte, die das Sternengetümmel aufs Unvergesslichste präsentieren."

Vernichtendes Urteil über den Kinofilm "Joker"

Okay. Und jetzt doch noch ein bisschen was Boshaftes, ebenfalls aus der ZEIT. Dass dem Kritiker Lars Weisbrod der vieldiskutierte Film "Joker" von Todd Phillips gar nicht gut gefällt, spürt man schon bei der Lektüre der maliziösen Anfangszeilen.
"Was dieser Film alles sein soll: ein Meisterwerk, na klar. Eine blutige Revolutionsfantasie. Das Manifest aller einsamen, abgehängten, weißen Männer, die sich heute als Verlierer der Geschichte fühlen. Darüber hinaus eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit."
Am Ende lautet das Urteil des ZEIT-Autors Weisbrod: "Der Film verfolgt mal diese Spur, mal jene, mal gar keine, solange es nur irgendwie so aussieht, als würde er sich Gedanken machen."
Das war es. Uns bleibt nur noch, das Reden einzustellen – und das tun wir mit einer SZ-Überschrift. Sie lautet: "Los geht's."
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