Aus den Feuilletons

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

06:13 Minuten
Die berühmte drei Affen am Nikko Toshogu Schrein in Japan.
Ihren Ursprung haben die drei Affen in einem japanischen Sprichwort. © picture alliance/imagebroker/Fischer
Von Tobias Wenzel · 21.12.2019
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Die drei berühmten Affen wollen nichts wissen vom Bösen und auch nicht darüber reden. Schlechte Voraussetzungen, um überhaupt etwas zu erkennen und diese Erkenntnis weiterzugeben. Eine kleine Einführung in die Erkenntnistheorie gab's in den Feuilletons der Woche.
Fast nichts hören, konnte Ludwig van Beethoven, der vermutlich – sichere Erkenntnis hat man davon immer noch nicht – am 16. Dezember geboren wurde, 2020 vor 250 Jahren. "Dass dieser Beethoven auch einen Unterleib hatte", schrieb Manuel Brug in der WELT, "das wissen wir vor allem aus den Klagen über die ewigen Verdauungsbeschwerden. Ludwig, der Verstopfte. Unten wie oben, wo bald schon kaum mehr Töne hineindrangen."

Geschwärzte Digitalausgabe

Nichts sehen konnten die Leser des neuen "Stern", die die E-Paper-Ausgabe abonniert haben, als sie eine Reportage aus dem Trump-Hotel in Washington D. C. vor Augen hatten. "Vor Augen", na ja: Das Magazin hatte den Artikel komplett geschwärzt. Ob sich hinter dem Schwarz tatsächlich der Text der Reportage verbarg, der in der gedruckten Ausgabe normal zu lesen war, oder nur schnödes, weißes Nichts, konnte der Leser nicht erkennen.
Die TAZ ging vom Ersteren aus und wunderte sich: "Eigentlich gilt ja: Entweder eine Geschichte stimmt, dann steht man als Verlag zu ihr, oder aber man bringt sie gar nicht." Der "Stern" hält seine Reportage zwar für korrekt recherchiert, schwärzte sie im Digitalen aber trotzdem aus Angst, von Donald Trump verklagt zu werden. Die Schwärzung und die durch sie ausgelösten Berichte dürften allerdings wohl eher Trumps Anwälte auf den Plan rufen, als das der ungeschwärzte digitale Abdruck getan hätte.
Aber vermutlich sind Trump und seine Leute zurzeit sowieso nur mit dem Amtsenthebungsverfahren beschäftigt, das nun im Repräsentantenhaus vorangebracht wurde. "Es ist erwiesen, dass der Präsident zum persönlichen Nutzen Druck auf einen anderen Staatschef auszuüben suchte", schrieb der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, "allein der Versuch rechtfertigt eine Amtsenthebung". Das müssen also auch die Republikaner erkannt haben, nur wollen sie das nicht offen sagen, dachte man als Leser.

Wehrlose Demokratie USA?

Auch die republikanischen Senatoren hätten den Eid geschworen, bei einem Amtsenthebungsverfahren unparteiisch zu sein, erläuterte Müller, würden sich aber wohl weiter wie Trumps "Vasallen" aufführen: "Damit zeigt sich eine Schwachstelle im System, welche die USA dann letztlich doch zur wehrlosen Demokratie machen könnte", folgerte Müller in der SZ, "wenn eine der (in der Verfassung eben gar nicht vorgesehenen) Parteien sich radikalisiert und der Autoritarismus dann aus der Mitte einer vermeintlichen Volkspartei kommt". Und gerade nicht "vom extremistischen Rand".
Zu dem könnte der Dresdner Busfahrer gehören, der einen Zettel in den Eingangsbereich seines Busses geklebt hat. "Diesen Bus steuert ein deutscher Fahrer", stand da. In deutscher Frakturschrift, dachten viele und wohl auch der Busfahrer selbst. Falsch gedacht.

Deutsche Frakturschrift versus Old English

Die Schrift auf dem Aushang im Bus sei nicht Fraktur, sondern "eindeutig Old English", sorgte Matthias Heine in der WELT für Erkenntnisgewinn. "Die Typografie wäre für einen nationalstolzen englischen Fahrer angemessen." Das Ende der deutschen Fraktur habe ausgerechnet Hitler eingeleitet: "1941 verbot er mit einem Normalschrifterlass", schrieb Heine, "die von ihm so denunzierten 'Schwabacher Judenlettern'."
Vielleicht tat Heine ja dem Dresdner Busfahrer unrecht. Möglicherweise ist der typografisch hochgebildet und hatte gerade aus Hitlertreue und Antisemitismus die Fraktur vermieden und stattdessen die von Hitler nicht kritisierte, aber bei Skinheads eben sehr beliebte Schrift Old English verwendet. So oder so braucht es nicht viel Erkenntnisübung, um treffend zu urteilen: Dieser Busfahrer ist ausländerfeindlich. Ob er wenigstens das (allerdings auch ausländische) Polarzebra lieb hat?

Olli Dittrichs Polarzebra

Das Tier ist ein erkenntnistheoretisch spannender Fall, wie man der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG entnehmen konnte und dem Bericht von Holger Gertz über Olli Dittrichs Persiflagen-Fernsehsendung "Frust – Das Magazin".
Darin kommt der von Dittrich gespielte Tierfilmer Andreas Baesecke zu Wort. Der hatte behauptet, das Polarzebra entdeckt zu haben. Das, so Gertz, könne man aber eigentlich gar nicht sehen, "denn das Polarzebra hat weiße Streifen, wenn es hell ist im arktischen Sommer. Im Winter, wenn es dunkel ist, sind die Streifen dunkel." Nun gab Baesecke zu, das Polarzebra erfunden zu haben. Vielleicht wird es ja trotzdem einmal in einer Einführung in die Erkenntnistheorie gewürdigt.

Mit Geschichten das Klima retten

Nach Erkenntnis zu streben, ist mühsamer, als Geschichten zu hören: "Weil die Menschen Geschichten immer schon spannender fanden als Fakten", sagte Per Grankvist, Schwedens erster hauptamtlicher Geschichtenerzähler, im Gespräch mit der SZ. Mit seinen Geschichten will er dazu beitragen, dass neun schwedische Städte bis 2030 klimaneutral werden. Vernünftige Argumente würden da nicht reichen. Denn, so Grankvist: "Wir sind konfuse, statusfixierte Affen, die äußerst selten rational handeln." Und, wollte man ergänzen, die oft nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.
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