Aus den Feuilletons

Neue Heimat für den Nobelpreis

Dachspitze der Schwedischen Akademie in Stockholm.
Werden hier vielleicht schon bald zum letzten Mal die Nobelpreise bekanntgegeben? © imago/stock&people/Jochen Tack
Von Paul  Stänner · 20.04.2018
Zwei Themen beherrschen die Feuilletons vom Samstag: Die Echo-Verleihung und der Nobelpreis. Dabei sagen die einen, dass Schimpfwörter wechselnden Moden unterliegen und die anderen, dass der Nobelpreis abwechselnd von Nationen vergeben werden soll.
Die TAZ dekretiert, dass die Reaktionen auf das Echo-Desaster vor Ignoranz nur so strotzen würden. Und erklärt, dass man zwar über Antisemitismus, Sexismus und Gewaltfantasien sprechen müsse, "aber im Kontext". Der Kontext zeige: "Rapper wie Bushido, Kollegah und Massiv arbeiten immer mit antisemitischen Stereotypen." Super Kontext! Wenn ich sie recht verstehe, fordert uns die TAZ auf, die Szene zu beobachten und nicht erst anlässlich von Preisverleihungen wach zu werden. Letzter Satz der TAZ: "Es ist ein Elend, das alles."

Schimpfwörter unterliegen wechselnden Moden

Der TAGESSPIEGEL sieht den Gangster-Rap gleichsam als Notwehr von Jugendlichen, die kaum Chancen haben, sich von ihren Eltern abzusetzen, weil die Nirvana hören und den Gangsta-Raper Tupac Shakur. Also versuchen die Rapper, sich gegenseitig mit Beleidigungen nieder zu rappen und die Schüler auf den Schulhöfen machen es begeistert nach. Wir gehen zur WELT, wo mehrere Lehrer berichten, was die Schüler auf den Höfen wirklich erzählen, nämlich dass die antisemitischen Sätze von Kollegah gar nicht so gemeint seien, dass insgesamt Schimpfwörter wechselnden Moden unterliegen und grundsätzlich: "Wenn wir aushalten können, Vorurteile in einem geschützten Rahmen erst einmal zuzulassen, können wir sie manchmal viel einfacher bekämpfen, als wir denken." – das sagt eine Sonderpädagogin.
Die Nobelpreis-Akademie steckt in einem erregenden Geld- und Sex- und Verratsskandal. Liebling der protestierenden Schweden ist die geschasste Sekretärin Sara Danius, die ihren Platz räumen musste, damit die Haupttäterin sich bereit erklärte, ihrerseits zu gehen. Weil Danius gern Schleifenblusen trägt, gibt es zu ihrer Unterstützung einen eigenen Schleifenblusenhashtag. Weitere rührende Details der Nobel-Schlacht kann man in der WELT nachlesen.

Den Nobelpreis sollen Nationen abwechselnd vergeben

Die FAZ erinnert daran, dass Arno Schmidt bereits den Vorschlag gemacht habe, den Preis an wechselnde Nationen zu vergeben. Schmidts Vision hätte in Deutschland gleich fünf Preise zu vergeben: "Den ersten Preisträger wählt der Bundespräsident ("damit ist für die staatserhaltenden Schriftsteller gesorgt"), den zweiten die Deutsche Akademie in Darmstadt, den dritten die CDU, damit auch christliche Autoren eine Chance hätten, den vierten "die Ostzone". Der letzte aber "wird ausgelost: das ist dann die Chance für die wirklich Unsterblichen: Wen's trifft, den trifft's! Iss ja doch wurscht!"
Besucher der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin sitzen zwischen Bücherregalen. 
Besucher der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin sitzen zwischen Bücherregalen. © dpa / picture alliance / Tim Brakemeier
Rainer Moritz, der Leiter des Hamburger Literaturhauses, zerdrückt in der WELT die beliebte Phrase "Lesen macht glücklich" zu Wurscht. Wenn schon, dann machten Sachbücher wie "Pasta – 100 einfache Rezepte" glücklich. Weil man "schon nach wenigen Wochen in der Lage (sei), ordentliche Penne al gorgonzola zuzubereiten und so herrliche Befriedigung, ja, womöglich Glück erfahre." Er setzt dagegen: "Wie anders sieht es da mit der Fiktion aus, wie jenen oft tieftraurigen Geschichten von scheiternden Ehen, unschönen Selbstmorden und blutigen Kriegen?" Angesichts abnehmender Leserzahlen kommt Moritz zu der Ansicht, diese Phrase sei nur das Pfeifen im Wald, dass Hexen und Monster vertreiben soll. Die Monster der Leseunlust. Moritz verweist auf den Literaturkritiker Ulrich Greiner: "Lesen ist eine Kulturtechnik. Mit Glück hat sie nichts zu tun. Das dauerhafte, wahrhafte Glück besteht wahrscheinlich in der vollendeten Dummheit."
Falls Ihnen entfallen sein sollte, was Dummheit ist: Die FAZ schreibt in einem Artikel über die Einschläferung des Hundes "Chico", der seine Halter zu Tode biss – Zitat: "Nach Chicos Tod kam es zu einer Hetze im Internet gegenüber denjenigen, die das Urteil über die Einschläferung gefällt haben. Die Organisation Animal Peace rief absurderweise zum Mord auf: "Gleiches Recht für alle: Todesstrafe für die Mörder von Chico". Was lesen die? Welche Musik hören die? Die TAZ hat recht. "Es ist ein Elend, das alles."
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