Aus den Feuilletons

Nationaler Frisierplan

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Bundespressekonferenz zur aktuellen Corona-Lage im Lockdown. Im Bild Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU).
Ist Gesundheitsminister Jens Spahn, dessen Haare ebenfalls munter sprießen, jetzt auch zum obersten Friseurterminplaner avanciert? Die Satire-Website "Der Postillon" will das erfahren haben. © IMAGO / Jürgen Heinrich
Von Tobias Wenzel · 20.02.2021
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In den Feuilletons ging es vergangene Woche haarig zu. Gesundheitsminister Jens Spahn darf festlegen, wer wann zum Friseur geht, schreibt die Satire-Webseite „Der Postillon“: Die Spieler des FC Bayern gehören zu den ersten, die unter die Schere dürfen.
Haare vorne, Haare hinten und in der Mitte, viel Kritik an Identitätspolitik und Coronamaßnahmen – das bietet dieser Wochenrückblick. "Bautypologisch betrachtet ließe sich die Frisur von Grünenfraktionschef Anton Hofreiter als Seilnetzkonstruktion beschreiben. Letztlich ist es eine Art Wohnvorhang – wie geschaffen für moderne Nomaden", schrieb der Architekturkritiker Gerhard Matzig für die Rosenmontagsausgabe der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG und vielleicht gerade deshalb noch humorvoller als sonst.Bald, nach 75 Tagen, dürfen die Friseure wieder öffnen. Zweieinhalb Monate ohne Friseur bedeuten allerdings drei "Zentimeter Zuwachs", rechnete Christine Lemke-Matwey für die ZEIT aus und spekulierte heiter über einen möglichen Zusammenhang zwischen unfrisierten Haaren und Fernsehpräsenz.
"Wann hat man eigentlich Christian Drosten (dunkle Locken) oder Alexander Kekulé (welliges Mittelblondgrau) zuletzt gesehen, die deutschen Chefvirologen vom Dienst?", fragte Lemke-Matwey. "Wer sich einbildet, die auffällige Expertinnen-Schwemme in den Medien habe mit einer Einsicht in Kompetenz und Gleichberechtigung zu tun, irrt. Melanie Brinkmann (schulterlang, brünett) kann sich schnell mal einen Pferdeschwanz binden oder einen Zopf flechten – und sieht auch nach 75 Tagen noch gut aus."

Genderaktivist*innen als Holzfäller*innen

Apropos vermeintliche Gleichberechtigung: "Würde Horaz heute gendern?", fragte die Schriftstellerin Olga Martynova in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG. Martynova spielte darauf an, dass Horaz in seiner "Ars Poetica" die Sprache mit einem Wald verglich, der im Laufe der Zeit sein Laub wechselt. Eine organische Auffassung von Sprachwandel, die den meisten Linguisten sympathisch sein dürfte, nicht jedoch den Befürwortern des Genderns.
Olga Martynova nannte sie in ihrem FAZ-Artikel deshalb "Holzfäller", hatte bei einigen von ihnen Opportunismus und auch das Aufbauen von "Aggression" beobachtet und schrieb offensichtlich polemisch: "Vielleicht bringt das Fällen des Waldes eine stilistische Erfrischung in den Gesang seiner Vögel."

Wie woke Aktivisten die "Unterschicht" mundtot machen

Für den Dramaturgen Bernd Stegemann ist Identitätspolitik ganz allgemein sogar eine der größten Bedrohungen für die Freiheit. Das erläuterte er im Gespräch mit Jan Küveler von der WELT: "Das 'Wir zuerst' der Identitätspolitik führt zu einem Weltzustand, den sich niemand wünschen kann", sagte Stegemann. Er empfahl, sich dafür einzusetzen, dass "die Empörung nicht allzu viel Macht in den Institutionen" bekomme.
"Leider ist bei den woken Aktivisten das Wissen verloren gegangen, dass Moral lange ein Mittel der Unterdrückung war, um die sogenannten Unterschichten mundtot zu machen", kritisierte Stegemann. Befürworter von Identitätspolitik suchten "das größtmögliche Missverständnis und die größtmögliche Konfrontation, weil das ihren inneren Zusammenhalt" stärke: "Die eigene Gruppe scheint wichtiger zu sein als das Gesamte der Öffentlichkeit." Stegemanns neues Buch heißt passend dazu "Die Öffentlichkeit und ihre Feinde".

Alternativlose Einschränkungen der Grundrechte?

Weniger um die Öffentlichkeit als vielmehr um die Demokratie in Zeiten von Corona sorgt sich der Journalist und Jurist Heribert Prantl in seinem Buch "Not und Gebot: Grundrechte in Quarantäne".
DIE WELT veröffentlichte daraus einen Vorabdruck: Im Kampf gegen Covid-19 würden "Grundrechte als Ballast und Gefahr" gelten. "Was eigentlich Irrsinn ist", schrieb er, "galt und gilt, wenn es um Corona-Prävention geht, als sinnhaft, als geboten, als alternativlos". "Autoritär alternativlos" lautet der Titel zu diesem Auszug aus Prantls neuem Buch.

Das tückenreiche Konzept der Resilienz

Keinen Beitrag zur Demokratie leistet der nun inflationär gebrauchte Begriff "Resilienz", also die Idee einer Krisenbewältigung durch innere Stärke, findet die Soziologin Stefanie Graefe. Im Gespräch mit Novina Göhlsdorf von der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG kritisiert Graefe, durch die Fokussierung auf Resilienz gerate Wichtigeres in der Pandemie aus dem Blick.
"Zurzeit nehme ich nicht wahr, dass etwa Lehrer, Schüler, Pflegekräfte, aber auch Erwerbslose oder Familien mit Kindern wirklich danach gefragt werden, was sie brauchen", sagt Graefe. "Wir sollten uns nicht darauf beschränken, Masken zu tragen und Abstand zu halten. Im Sinne der Resilienz wäre das zwar ausreichend. Im Sinne der Demokratie nicht."
Befürworter des Begriffs "Resilienz" hätten die Vorstellung, man gehe aus einer Krise gestärkt hervor. Oder wie es Winston Churchill formulierte: "Lassen Sie sich niemals eine gute Krise entgehen!"

Prognosen zur Herdenfrisiertheit der Bevölkerung

Ja, wenn man das so sieht, dann haben wir also alle gerade richtig großes Glück. Und dürfen bald sogar wieder zum Friseur. Aber bitte alles schön geregelt!
 "Wer darf wann zum Friseur? Bundesregierung stellt Haarschneidereihenfolge vor", titelte DER POSTILLON, erläuterte, dass zuerst "Models, Influencer, Moderatoren, Schauspieler, Musiker, Politiker" und der "FC Bayern München" frisiert würden, und schrieb weiter:
"Um die möglichst schnelle Durchfrisierung der Bevölkerung zu gewährleisten, greift die Regierung tief in die Tasche: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schätzt die Kosten bis zum Wiedererreichen einer Herdenfrisiertheit auf bis zu 1,5 Milliarden Euro."
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