Aus den Feuilletons

Mythos Woodstock

04:15 Minuten
Woodstock 1969, schwarz-weiß Fotografie: Festivalbesucher laufen über den schlammigen Boden. Rechts eine junge Frau mit Sonnenbrille und ein Mann ohne T-Shirt.
Woodstock 1969: Bis heute ist das Festival legendär. © imago images / ZUMA Press
Von Hans von Trotha  · 01.08.2019
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"Nicht nur die Rechten träumen von ihren Retrotopien", schreibt die "Welt": Denn auch Woodstock sei nur eine Erinnerung an eine Zeit, "die nie so war wie auf den Bildern". Der Nachruhm des Festivals beschäftigt gleich mehrere Feuilletons.
In der SÜDDEUTSCHEN meint Peter Richter: "'Point of No Return – Wende und Umbruch in der ostdeutschen Kunst' dürfte eine der größten Ausstellungen sein, die es seit der Vereinigung überhaupt zur Kunst aus jener Region gab, die man vorher DDR und danach die neuen Bundesländer genannt hat." Wenn es dabei, so Richter, "einen roten Faden gibt, dann vielleicht das Bewusstsein für die Ambivalenzen der Lage."
Aktuell verweist Richter auf die Konkurrenz, "ist auf den Seiten der Frankfurter Allgemeinen ein kleiner Historikerstreit darüber entbrannt, ob die Oppositionsgruppen 1989 wirklich die Avantgarde des Umbruchs waren oder nicht vielmehr den Massen elitär entgegenstanden."
Mythos Wende. Alles, was länger vorbei ist als, sagen wir: Ein Jahr, wird schnell zum Mythos. Und die Wende ist schon 30 Jahre her. Woodstock sogar 50.

Fünf Epochen in 50 Jahren

Während Detlef Kuhlbrodt in der TAZ schlicht "Keine Lust auf Woodstock" hat und Juliane Schäuble im TAGESSPIEGEL einen "Besuch auf der berühmtesten Kuhweide der Welt" anbietet, "wo der Mythos" allerdings "schon ein wenig müffelt", nehmen ihn Michael Pilz in der WELT und Verna Lueken in der FAZ gründlicher auseinander.
"In der Popkultur sind 50 Jahre fünf Epochen", meint Pilz. "Andererseits hatte der Mythos ein halbes Jahrhundert Zeit, um manifest zu werden. Woodstock ist ein Film, drei Stunden lang, über drei Tage voller Frieden und Musik", schreibt Pilz. Es ist übrigens der Film, auf den Detlef Kuhlbrodt in seiner TAZ-Kolumne keine Lust hat, um ihn dann doch sehen zu wollen. Aber er läuft gar nicht. Egal. Das Motto gilt ja auch so: "3 Days of Peace & Music".
"Alles andere als zufällig", findet nun Michael Pilz, "bringt Quentin Tarantino, ebenfalls zum Jubiläum, "Once Upon a Time in Hollywood" ins Kino. Darin geht es um das sogenannte andere Woodstock, um die Manson-Morde 1969, eine Woche vor dem Festival. Charles Manson", erläutert Pilz, "war ein singender Rassist mit einer Sekte, die das Weiße Album von den Beatles als geheimen Mordauftrag verstand. Das Massaker an Sharon Tate, einem Idol der Hippiezeit, und ihren Gästen, hätte", so Pilz, "bereits als Beweis gesehen werden können, dass die Popkultur nicht von Natur aus gut ist."

Erinnerung an Zeiten, die nie so waren

Nur nach der Wende schien noch einmal so etwas wie Hoffnung aufzukeimen – Mythos meets Mythos, könnte man sagen: "1994", erinnert sich sogar Michael Pilz, "sah es sogar noch so aus, als wäre alles gut: Fünf Jahre nach dem Mauerfall, im Zeitalter einer Art weltumspannenden Loveparade, fand Woodstock 25 statt." Das bekanntlich abgesagte Woodstock 50 provoziert Pilz dagegen zu dem Urteil:
"Nicht nur die Rechten träumen von ihren Retrotopien. Auch Woodstock ist eine Retrotopie, eine Erinnerung an eine Zeit, die nie so war wie auf den Bildern, in den Filmen und in der Musik, auch wenn", so Pilz, "Charles Manson tot sein mag."
Verena Lueken nimmt noch die Mondlandung dazu: "In 50 Jahren", schreibt sie, "wuchs zusammen, was gar nicht zusammengehörte: Als kürzlich 50 Jahre Mondlandung gefeiert wurden, wurde vereinzelt daran erinnert, dass nur eine Hälfte Amerikas Neil Armstrongs gewaltigen Schritt für die Menschheit tatsächlich für so gewaltig hielt.
Die andere Hälfte, darunter jene knappe halbe Million, die wenige Wochen nach der Mondlandung zum Woodstock-Festival pilgerte, hielt die weitgehende Nutzlosigkeit des Raumfahrtunternehmens für erwiesen. Zwischen Mondlandung und Woodstock", so Lueken, "fallen die Manson-Morde. Die Popkultur reagierte auf diese Morde mit einer beängstigenden Faszination, möglicherweise auch, weil alles an diesen Taten quer lag dazu, was in Mondlandung und Woodstock an Hoffnung für den einen oder den anderen Teil des Landes zum Ausdruck kam. Nur Quentin Tarantino" – und mit ihm anscheinend auch ein bisschen Michael Pilz – "sieht offenbar in der Hippiekultur die Möglichkeit zur maßlosen Gewalt angelegt, wie sie sich in der exzessiven Brutalität dieser Morde Bahn brach."

Woodstock ein grundlegendes Missverständnis?

Vielleicht haben die Jugendkulturen der letzten 50 Jahre, die von Woodstock vor allem lernen wollten, wie man Spaß hat, ohnehin etwas grundlegend falsch verstanden. Ebenfalls in der FAZ zitiert nämlich Gina Thomas den Erzbischof von Canterbury mit einer Bemerkung, über die wir die nächsten 50 Jahre nachdenken sollten:
"Wenn man in einer Kathedrale keinen Spaß haben kann", so der Erzbischof, "weiß man nicht, was Spaß ist."
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