Aus den Feuilletons

Mit Haruki Murakami in Bayreuth

04:21 Minuten
Der Schriftsteller Haruki Murakami blickt in die Kamera.
Was der Schriftsteller Haruki Murakami bei den Bayreuther Festspielen erlebt, können wir in der "Zeit" nachlesen. © imago / Christian Thiel
Von Tobias Wenzel · 14.08.2019
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Haruki Murakami führt für die "Zeit" ein Bayreuth-Tagebuch. Darin beschreibt er, warum er in den Kulissen der neuen "Meistersinger"-Inszenierung auf einem Flügel stand und warum er mit Sonnenbrille in der "Lohengrin"-Vorstellung war.
Oh je, der Arme! Denkt man, wenn man das Foto betrachtet, das DIE ZEIT auf ihrer ersten Feuilletonseite abgedruckt hat: In den Kulissen der neuen "Meistersinger"-Inszenierung steht Haruki Murakami auf einem Flügel.
Man sieht seinem Gesicht an, dass ihm nicht wohl bei der Aktion ist. Hat ihn etwa der Fotograf zu diesem ach so originellen Motiv genötigt? Der ewige Literaturnobelpreiskandidat hat jedenfalls für DIE ZEIT ein Bayreuth-Tagebuch geführt:
"Ich bestelle 'Isoldes Kartoffelpuffer, mit Räucherlachs belegt'. Weißbier und Rotwein. Alles zusammen 23 Euro", notiert der japanische Literat am 25. Juli. Zum Glück bleibt es nicht so belanglos, irgendwann wird es sogar tragikomisch.

"Vor mir sitzt ein Hüne…"

Murakami beschreibt, wie er, der kein Deutsch versteht, in der "Lohengrin"-Vorstellung versucht, die Darbietung wenigstens mit den Augen nachzuvollziehen: "Vor mir sitzt ein Hüne, dessen Kopf mir den Ausblick auf einen Teil der Bühne verdeckt", schreibt Murakami am 26. Juli.
"Außerdem habe ich meine Brille im Hotel liegen lassen! Also bleibt mir nichts anderes übrig, als meine Sonnenbrille aufzusetzen. Natürlich ist sie viel zu dunkel, und ich kann die Details des Bühnenbildes nicht erkennen." Die Musik schlägt ihn aber in den Bann, berichtet er.
Und am folgenden Tag erwähnt er das Fotoshooting in der "Meistersinger"-Kulisse: "Der Fotograf bittet mich, auf den großen Flügel zu steigen, der dort steht. Ich soll auf einen Flügel steigen?", schreibt Haruki Murakami. "Ich steige auf den Flügel, wie der Fotograf es mir sagt. Als ich in meinem Smoking und mit der schwarzen Krawatte dort stehe, komme ich mir vor wie ein Narr."

Verschwindet der Checkpoint Charlie?

Vom Narren wider Willen zu Narren aus Lust und Laune: "Alle wollen ein Bild von sich hinter der Sandsackbarrikade, und koste es das Leben", schreibt Boris Pofalla in der WELT über die Touristen am Checkpoint Charlie. Einen ganzen Tag will der Journalist dort verbracht haben. Er war unter anderem in einer für das Zentrum Berlins kuriosen Strandbar.
Seinem Text jedenfalls merkt man schon bald an, dass er den ehemaligen Grenzort lieb gewonnen hat. "Der Trubel um den Checkpoint Charlie wird gern als ‚Disneyland‘ kritisiert, aber wer so redet, versteht wenig von Disney. Im Reich dieser Firma wird jedes Detail genauestens abgestimmt. Disneyland ist Stalinismus verglichen mit dem Checkpoint Charlie. Hier macht jeder, was er will", schreibt der Autor.
"Aber nicht mehr lange. Denn dieser Strandklub und die Currywurstbuden, dieses ganze sympathische Chaos soll bald verschwinden. Ein öffentliches Kalter-Krieg-Museum und einen Stadtplatz soll es stattdessen geben, und viele, viele Wohnungen." Aber das kann noch dauern, denn noch ist nichts definitiv beschlossen. Bis dahin geht der alltägliche Wahnsinn am Checkpoint Charlie weiter.
In Pofallas Worten: "Immerzu tauchen aus unerschöpflichen Depots immer neue sowjetische Fellmützen und Gasmasken auf, und es gibt noch viele Meter Mauer, die man häckseln und teuer verkaufen kann."

Schuhe und die klassenlose Gesellschaft

Gehäckselt hätte der Schweizer Staat am liebsten die modischen Schuhe, die nach dem Ersten Weltkrieg auf den Markt kamen. Und das aus zwei Gründen, wie man Roman Wilds Buch "Auf Schritt und Tritt. Der schweizerische Schuhmarkt 1918-1948" entnehmen kann.
Urs Hafner hat es für die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG rezensiert: Soziologen hätten damals befürchtet, "die durch die teuren Modeartikel offenbarten Vermögensunterschiede könnten in der 'klassenlosen Gesellschaft' Schweiz zu sozialen Spannungen führen", schreibt Hafner.
Und weiter: "In der Medizin war bald die Rede von der 'fusskranken Moderne'. Spitze Schuhkappen und weitere Einengungen führten zu deformierten Füssen, die an die Nachkommen vererbt und sich auf die Dauer nachteilig auf die Wirtschaft und die Wehrkraft des 'Volkskörpers' auswirken würden. Die Schuhe hätten die Anatomie der Füsse zu respektieren."
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