Aus den Feuilletons

Militärische Hierarchie im Kulturbetrieb

Schatten von Soldaten des Jägerbataillons 292 sind beim Rückkehrappell in der Fürstenberg-Kaserne in Donaueschingen auf dem Boden zu sehen.
In der "Welt" kommentiert Thierry Cherval atavistische Machtstrukturen im Kulturleben. © dpa / Patrick Seeger
Von Hans von Trotha · 06.02.2018
Man solle nicht zu sehr auf die Kultur vertrauen, schreibt die "Welt": Erst die Demokratie mache aus ihr einen "Raum der Zwanglosigkeit". In den Theatern, Opern, Orchestern und im Kino gebe es dennoch ein Machtsystem wie in einer Armee oder der katholischen Kirche.
Alles von Relevanz – das stimmt schon. Alles ist inzwischen von Relevanz. Wie wir Abendessen, einkaufen, Chips essen. Ist alles von Relevanz und steht alles unter Beobachtung. Man muss schon aufpassen, wie man sich benimmt.
Außer Frage steht, dass man sich nicht benimmt wie Quentin Tarrentino, der nicht nur seine Darstellerin Umma Thurman zu einem gewagten Auto-Stunt zwang. Der "New York Times" entnimmt die SÜDDEUTSCHE zudem, "Tarantino habe in Großaufnahmen, in denen Thurman ... bespuckt und gefoltert werden sollte, persönlich eingegriffen, man sehe auf der Leinwand seine Spucke und seine würgenden Hände."

Feudalismus im Filmbusiness

Dazu passt Thierry Chervals Kommentar in der WELT, dass man nicht zu sehr auf die Kultur vertrauen solle. Die allein garantiere "noch kein zivilisiertes Verhalten ... Erst Demokratien", so Cherval, "machten aus der Kultur ein Spiel, einen Raum der Zwanglosigkeit und der Selbstreflexion." Die Weinstein-Affäre offenbare, dass gerade im Filmbusiness "Machtstrukturen ... besonders atavistisch waren, eine Art Feudalismus mit Ius primae noctis, ... ein Machtsystem in einer Krudität, die etwas Symbolisches" habe. "Wo sonst", fragt Cherval, "außer in Armeen und der katholischen Kirche – gibt es noch derart lineare und unkontrollierte Hierarchien wie in Theatern, Opern, Orchestern und im Kino?"
In der SÜDDEUTSCHEN resümieren David Steinitz und Tobias Kniebe, Quentin Tarantino habe sich bislang "mit Entschuldigungslitaneien ganz gut als Täter aus der 'MeToo'-Debatte heraushalten können. Ob das nach den neuen Vorwürfen so bleibt – und ob die neue Diskussion über Arbeitsbedingungen an Filmsets wirklich etwas bewirkt" bliebe aber abzuwarten.

Keine Rücksicht auf pingelige Esser

Diskussionen werden aber derzeit nicht nur über Arbeitsbedingungen an Filmsets, sondern auch, wenn auch vorerst noch nur in England, über das Ausrichten von Dinnerpartys. Die, berichtet Gina Thomas für die FAZ aus London, die Hochglanzzeitschrift "Tatler" zitierend", seien nämlich wieder in. "Tatler" belehrt seine Leserschaft demnach, "dass eine ideale Runde aus Freunden, Fremden, Alleinstehenden und Paaren zu bestehen habe. Kinder dürften allenfalls fünf Minuten dabei sein, um die Gäste zu begrüßen. Auf Veganer und andere pingelige Esser müsse bei der Zusammenstellung des Menüs keine Rücksicht genommen werden. Diese sollten vorher essen und ihre Nahrungsbedürfnisse nicht weiter erwähnen. ... Darüber hinaus sei der Brexit zum Tabu-Thema zu erklären. Bis jetzt sei es zwar unannehmbar gewesen, die Unterhaltung mit einem Veto zu belegen, belehrt das Gesellschaftsmagazin. In diesen unruhigen Zeiten, sei es jedoch ratsam, ein Brexit-Moratorium zu verhängen. Jedes andere Thema sei erlaubt."

Getrennte Geschlechterrollen im Kapitalismus

Zum Beispiel die Frage, ob sich Frauen nach dem Essen von Chips in der Öffentlichkeit die Finger ablecken dürfen. Um uns diesen Anblick zu ersparen, kündigt der Lebensmittelkonzern PepsiCo jetzt (Zitat:) "frauenfreundliche Chips" an. Die, berichtet Sibel Schick in der TAZ, "sollen nicht so laute Geräusche beim Essen machen, kaum krümeln und in einer kleinen Tüte erhältlich sein." Denn Pepsico habe analysiert, "dass Frauen zwar genauso gerne Chips essen wie Männer, das aber nicht in aller Öffentlichkeit tun wegen der lauten Kaugeräusche. ... Und erst das Fingerlecken danach".
Dagegen setzt Sibel Schick dankenswerterweise die Analyse:
"Das Problem ist, dass der Kapitalismus unter anderem von klar getrennten Geschlechterrollen lebt. ... Frauen brauchen keine Chips in kleineren Tüten, die leiser sind und nicht krümeln. Was sie brauchen, ist eine Welt, in der es ihnen nicht übel genommen wird, wenn sie ihre Chips laut kauen und sich im Nachhinein die Finger ablecken."
Es ist also eine Frage des Systems. Das nennen Ulrich Brand und Markus Wissen in einer ebenfalls in der TAZ von Knut Henkel rezensierten Studie unsere "imperialistische Lebensweise". "Die beiden Forscher", so Henkel, "sind der Frage auf den Grund gegangen, warum Menschen einen SUV fahren und zugleich auf dem Wochenmarkt Bioprodukte aus regionaler Produktion einkaufen."

Altbundespräsident Wulff verliert Rechtsstreit

Was Christian Wulff, by the way, nicht zu tun scheint. Der lädt sich seinen Einkaufswagen im Supermarkt voll, wobei er nicht fotografiert werden will. Das aber ist erlaubt, urteilte jetzt der Bundesgerichtshof, denn, zitiert die TAZ das Gericht:
"Die Rollenverteilung in der Partnerschaft von Mann und Frau sei auch ein 'gesellschaftspolitisches Thema' ... Deshalb gehöre ein Bild, das zeigt, wie der Altbundespräsident nun seine Vaterrolle wahrnimmt, zum Zeitgeschehen."
Wie gesagt: Alls von Relevanz.
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