Aus den Feuilletons

Michelangelo soll Mitarbeiter retten

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Taddei Tondo ist ein Marmorrelief der Madonna mit dem Kind und des Kindes Johannes der Täufer von Michelangelo. Das Tondo zeigt eine sitzende Jungfrau Maria mit dem Jesuskind, das sich dynamisch auf ihrem Schoß ausbreitet, sich umdreht und über seine rechte Schulter zurück zu dem Säugling Johannes dem Täufer schaut, der vor ihm steht und einen flatternden Vogel in der Hand hält.
Die Diskussion um den Verkauf der Marmorskulptur "Taddei Tondo" der Royal Academy sei vor allem ein Signal an Staat und Regierung, schreibt die "SZ". © imago images/StephenChung
Von Ulrike Timm · 24.09.2020
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Die Royal Academy in London droht ihre Marmorskulptur von Michelangelo verkaufen, um Mitarbeiter vor der Entlassung zu bewahren, berichtet die "SZ". Das sei letztlich ein Scheingefecht, es zeige aber das Versagen der Corona-Rettungsmechanismen.
"Worte, die davonhoppeln" – diese Überschrift haben wir sofort ins Herz geschlossen. Zumal sich die heutigen Feuilletons gleich mehrfach mit Sprache beschäftigen, wenn auch nicht immer so possierlich.

Wasserspender und Waage befreunden sich

Die "Worte, die davonhoppeln" stehen in der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, und sie gelten dem Theaterstart in Zürich und einer Inszenierung von Christoph Marthaler, die den SZ-Rezensenten Egbert Tholl zwar durch Worthoppeleien irritiert, aber auch durch wundersame Momente bezaubert: "Ein Wasserspender fährt herum und freundet sich mit einer Körperwaage an." All das in Zürich. Wir reisen sprachlich noch ein bisschen weiter.
Im italienischen Turin und Perugia schlägt man sich mit einer "Fußballsprachposse" herum, die die FAZ aufgreift und mit "Italienisches Eigentor" betitelt. Die fundamentale Frage hier: "Muss ein Fußballspieler Verben konjugieren können?" Es geht um den uruguayischen Stürmer Luis Suárez, der – so war das angedacht – für Juventus Turin kicken und dafür blitzschnell Italiener werden sollte.
Davor stand ein Sprachtest an. Italienischkenntnisse B1 auf Niveau des europäischen Referenzrahmens sind dafür nötig, die sollte die Universität in Perugia blitz-feststellen und alles wäre paletti gewesen. Bloß lagen des Kickers Begabung und Können eben doch stärker in den Beinen. Die finanziell schwer angeschlagene Uni einigte sich nach allerlei Volten auf ein gerade eben bestanden, womöglich soll dafür auch Geld geflossen sein.
Fazit der zweifelhaften Aktion laut FAZ: "Juventus hat das Projekt Suarez mittlerweile ad acta gelegt. Der neue Spieler heißt Alvaro Morata und spricht Spanisch. Zurück bleibt eine Universität in Trümmern und der beschädigte Ruf des Lehrerstandes. Sie werden lange brauchen, um sich zu erholen."

Herausforderungen diskriminierungsfreier Sprache

"Neusprech" übt man in Berlin. Der Senat hat einen Leitfaden für Beamte herausgegeben, für diversitysensible und diskriminierungsfreie Kommunikation. Beides schwierig. Aber so, wie geplant, geht es nach hinten los, kritisiert oder besser feixt die WELT. "Radfahrende, Zu Fuß Gehende und Verkehrsteilnehmende" werden demnach in Zukunft die Berliner Straßen bevölkern, "Schwarzfahrer" sind schlicht "Fahrende ohne gültigen Fahrschein"* und "Ausländer" geht gar nicht mehr, daraus werden "Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft".
Mittlerweile orientiere man sich - so die WELT - "nahezu ausschließlich an den ganz persönlichen Emotionen der Sich-diskriminiert-Fühlenden", damit aber sei "einem Sprachregime kleiner und kleinster Betroffenengruppen Tür und Tor geöffnet worden." Vielleicht sollten hier und da Worte einfach mal marthalerisch davonhoppeln.

Marmor versus Mitarbeiter

Handfester geht es in London zu, ein "Klumpen Marmor" sorgt für Aufregung. "Darf man einen Michelangelo verkaufen?" fragt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG. Die einzige Marmorskulptur von Michelangelo in Großbritannien könnte einen Preis erzielen, der 150 Mitarbeiter der Royal Academy vor der Entlassung bewahre – so die Rechnung.
Sie ist so irreal nicht, der britische Kultursektor ist weit weniger geschützt als der deutsche und kämpft seit Beginn der Coronakrise ums Überleben. Zwar sei die Diskussion im Falle des Michelangelo-Reliefs letztlich ein Scheingefecht, meint Alexander Menden, denn Kunstwerke der Royal Academy dürften nicht verkauft werden, um Betriebskosten oder Defizite auszugleichen.
Deshalb sei die ganze Diskussion natürlich vor allem ein Signal an Staat und Regierung. Aber, so die SZ: "Wenn nun eine öffentliche Debatte über den Verkauf eines so bedeutenden Kunstwerks zur Verhütung von Entlassungen – sonst in Museumskreisen ein absolutes Tabu – überhaupt stattfindet, beweist das also vor allem eines: das Versagen aller Rettungsmechanismen".

*Wir haben hier ein falsches Wort korrigiert.
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