Aus den Feuilletons

Mein Gott!

04:21 Minuten
Farbenprächtige Kunst-Installation "Salvation Mountain" in der Colorado-Wüste mit religiösen Motiven. Leonard Knight brauchte fast drei Jahrzehnte und mehr als 350.000 Liter Farbe, um den Berg zu gestalten.
Briefe an den Herrn: Der Mensch will ständig mit Gott in Verbindung treten. Doch der antwortet so selten. © picture alliance / dpa / Frank Duenzi
Von Tobias Wenzel · 13.07.2020
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Die "FAZ" beschäftigt sich mit Höherem - und stellt die alte, aber nie wirklich zufriedenstellend beantwortete Frage, warum Gott das Leid auf der Erde anscheinend schulterzuckend hinnimmt. Selbst ein Erklärungsversuch von Leibniz findet keine Gnade.
34 Meter ragt Otto von Bismarck in die Höhe, im Alten Elbpark in Hamburg. Die weltweit größte Bismarck-Statue. Die lässt sich nicht einfach mal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion umsäbeln, wie sich das manch ein Aktivist gerade wünschen mag, der sich an Bismarcks Statue stellvertretend für Bismarcks Kolonialpolitik rächen möchte.
Wobei Bismarck selbst übrigens alles andere als ein Fan von Kolonien war. Die Diskussion um das große Hamburger Bismarck-Denkmal hat Stefan Trinks für die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG verfolgt. An diesem Beispiel ist ihm aufgefallen, dass die Aktivisten immer phantasievollere Vorschläge für die Entsorgung von Denkmälern machen: "Etwa der Stopp der Denkmalsanierung, der den Reichskanzler getrost und bemoost vergammeln ließe", schreibt Trinks.
"Oder: Ein Aktivist im 'Bereich Baukultur' plädierte für die Einrichtung eines 'Parks Postkolonial', wo man alle gestürzten Denkmäler und Büsten aus Hamburg, so wie sie sind - also demoliert und mit Farbe angegriffen zeigen könnte."

Kritik an der "Cancel Culture"

"Früher war Aktivismus mit Arbeit verbunden", sagt der US-amerikanische Politologe Mark Lilla im Gespräch mit Mara Delius von der WELT. Das Internet habe das verändert. "Viele junge Leute heute denken, dass 'Senden' auf dem Computer zu klicken ein politischer Akt sei. Ist es aber nicht", sagt Lilla.
"Diese Leute leben in einer Welt der symbolischen Gesten und der symbolischen Sprache, die nicht viel mit der sozialen Wirklichkeit zu tun hat." Lilla gehört zu den mehr als 150 Unterzeichnern des Offenen Briefs, die den freien Austausch von Ideen und die Meinungsfreiheit von der grassierenden "Cancel Culture" bedroht sehen.
Lilla beobachtet gerade eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert: "Denken Sie an die neue Klasse der Plurokraten, korrupter Populisten, moralisch-religiösen Fanatismus und den Druck, der auf Denkern und Künstlern lastet, sich konform zu verhalten", sagt der Professor für Ideengeschichte.
"Und wir haben denselben zensurhungrigen Geist, der feindlich dem freiheitlichen Denken und der Kunst gegenüber steht." Lilla sagt das mit Blick auf die USA. Aber es könnten sich auch einige Europäer angesprochen fühlen, zum Beispiel die deutschen Aktivisten, die Bismarcks Statuen stürzen wollen.

Ein Gott, der nicht allmächtig ist

"Wie konnte ein guter und allmächtiger Gott das zulassen?", fragt Jörg Herrmann in der FAZ, meint aber nicht die "Cancel Culture", sondern das große menschliche Leid. Es ist die berühmte Theodizeefrage. Und die stelle sich nun auch wieder durch die Coronakrise.
"Gottesrede in Zeiten der Pandemie ist eine Herausforderung", schreibt der Theologe Herrmann. Denn auch hier kann man fragen: "Wie konnte ein guter und allmächtiger Gott das zulassen?"
Herrmann erinnert daran, dass der Philosoph Hans Jonas argumentierte, man könne nach Auschwitz Gott "nicht mehr als Herrn der Geschichte denken".
"Wenn aber Gott auf gewisse Weise in gewissem Grade verstehbar sein soll (und hieran müssen wir festhalten)", sagte Jonas in einem Vortrag, "dann muss sein Gutsein vereinbar sein mit der Existenz des Übels, und das ist es nur, wenn er nicht allmächtig ist."
Naheliegender wäre zu folgern: Gott ergötzt sich an menschlichem Leid. Oder: Gott existiert gar nicht. Aber das thematisiert Herrmann nicht.
Stattdessen geht der Theologe auf den Versuch des Philosophen Leibniz ein, eine gelungene Antwort auf die Theodizeefrage zu finden. Leibniz habe argumentiert, dieser allgütige, allmächtige und allwissende Gott habe nur "die beste aller möglichen Welten" schaffen können; das in dieser Welt anzutreffende Übel sei notwendig oder erklärbar.
Das überzeugt Jörg Herrmann nicht. Sein Kommentar dazu in der FAZ: "Man könnte den Kerngedanken der leibnizschen Argumentation auch in dem lakonischen Satz zusammenfassen: Tut mir leid, es ging leider nicht besser."
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