Aus den Feuilletons

Maria rockt

Maria, Joseph und Jesus, umringt von Tieren im Stall
Die Erziehungsberechtigten vom Jesuskind: Gegen Maria hat Joseph keine Chance. © imago stock&people
Von Hans von Trotha · 18.12.2018
Die "ZEIT"-Beilage "Christ und Welt" stellt klar: Maria steckt ihren Mann Joseph in die Tasche. Die "Süddeutsche" erörtert, wie man Weihnachten unbeschadet übersteht. Und der "Tagesspiegel" hat recherchiert, ob es nächstes Jahr wieder einen Nobelpreis gibt.
"Nahezu unvermeidlich bricht die Weihnachtszeit alljährlich über alle Lebensbereiche herein", stellt die Medienseite der SÜDDEUTSCHEN fest und bemerkt: "Kaum eine Serie, in der nicht Schneeflocken über Helden und Handlung gestreut werden." Und doch legt die Redaktion gerade Weihnachtsmuffeln das Schauen von Serien-Weihnachtsfolgen ans Herz: "Es lässt sich dort so einiges lernen über das Fest der Liebe, und wie man es möglichst unbeschadet übersteht, egal ob man Tony Soprano, LadyMary, Kermit oder sonst jemand ist."

Weihnachtsgefühl im Stream mit "Modern Family"

Etwa beim Versuch der Familien Pritchett und Dunphy in Modern Family, "Express Weihnachten" zu feiern. "Die Familienmitglieder", so der Spoiler in der SÜDDEUTSCHEN, "geben sich große Mühe, damit alles so ist wie immer. Um am Ende festzustellen: Auf die gute Gesellschaft kommt es an."
Während hier also die Serie, das Medium unserer Zeit, die Alternative zum klassischen Weihnachtsgefühl sozusagen verstreamt, versucht die ZEIT-Beilage "Christ und Welt" die jüngere Generation mit einer "Elitepartner" betitelten Graphik-Seite zu cashen. "Weihnachten", heißt es da, "redet alle Welt über das Jesuskind, wir sehen uns seine Erziehungsberechtigten genauer an.
Den "Wettstreit in Zahlen von Tim Fischer" gewinnt kirchturmhoch Maria gegenüber ihrem durch die Bank benachteiligten männlichen Partner. Etwa in der Disziplin "Wem sind in Deutschland mehr Kirchen gewidmet oder geweiht?": 277 Joseph, 388 Maria. Oder, ganz jung gefragt: "Wen beachten Instagrammer mehr, wenn sie eine Krippe fotografieren?" Antwort: 60 zu 40 - ist schon klar, für wen.
Ob man so wirklich eine junge Generation für Kirche interessiert? Aber wie dann? "Dürfen Kirchen Nachtklubs werden?", fragt die WELT und kolportiert gleich das klare Nein des Päpstlichen Kulturrats, der im November einen Kongress zum Thema unter dem Motto "Wohnt Gott hier nicht mehr?" veranstaltet hat.

Eine Rutsche in der Kirche

Fast schon so weit geht ein Pfarrer im englischen Norwich, von dem Gerhard Matzig in der SÜDDEUTSCHEN erzählt. Zwar sind die titelgebenden "Goldfische im Taufbecken" noch eine Option, aber "Pfarrer Andy Bryant (eröffnet) in einigen Monaten (eine) raumfüllend spiralförmige Jahrmarktrutsche als temporären Helter Skelter (sinngemäß: "Hals über Kopf" oder "Holterdiepolter") in seinem zwischen 1096 und 1145 erbauten Kirchenschiff".
Matzig sieht darin eine weitere Episode in der Geschichte "Was die Kirchen tun, damit es darin noch schneller bergab geht" und verlegt sich darauf, mitzuerzählen, dass wer nun "Helter Skelter" bei Google eingeben will, und nur bis "Hel" kommt, bei "Helene Fischer Weihnachten" landet. Dann doch lieber eine Serie.
Vom Weihnachtsbrauch über den Kirchbesuch bis zum Musikgeschmack – die Welt ist bestimmt vom Generationenkonflikt. So sagt Rebecka Kärde, 27 Jahre alt und frisch bestallte Beraterin der Stockholmer Akadamie, die den Literatur-Nobelpreis vergibt: "Ich hoffe, die Akademie hat mein Alter hinreichend geprüft, damit sie sich hinterher nicht wundert."

Netflix - was ist denn das?

"Bringt die Umbesetzung der Akademie die Wende?", fragt der in Stockholm lebende Übersetzer Frank-Michael Kirsch im TAGESSPIEGEL und zitiert Lars Heikensten, den Direktor der Nobelstiftung, mit dem eher zaghaft optimistisch klingenden Statement, "es könne zumindest 'möglich' sein, dass wieder ein Preis verliehen werde."
"Geheimhaltung", meint Frank-Michael Kirsch und geht damit der Frage auf den Grund, was sich womöglich ändern muss, "Geheimhaltung gehört zum Spektakulum des Nobelpreises. Das Rätseln um den Namen des oder der Geehrten schafft die Spannung, die sich, schließlich publik gemacht, in weltweit geführten Diskussionen entlädt."
Nur, findet Kirsch, "passt eine solche Geheimhaltung kaum noch in die Zeit der schnellen Information. Im Inneren der Akademie, in der täglichen Arbeit, schafft der Zwang zur Geheimhaltung ebenfalls Spannungen. Denkbar ist, dass der Zwang benutzt wird, Missliebigkeiten zu ignorieren, Erneuerung zu bremsen, Macht auszuüben."
Klingt noch nicht nach einem Nobelpreis der neuen Generation.
Der Generationenkonflikt zeigt sich natürlich zuallererst in der Mediennutzung. Im Tagesspiegel-Interview wird Ulrich Tukur gefragt: "Besitzen Sie einen Netflix-Account?"
Nach Klärung der Rückfrage, was das sei, antwortet Tukur: "Nein. Habe ich nicht, ich habe eine Schellackplatten-Sammlung."
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