Aus den Feuilletons

Männerüberschuss als Grund für Pegida und Co.

Zwei Frauen zu Fuß auf der Straße
Zwei Frauen zu Fuß auf der Straße © dpa / Frank Rumpenhorst
Von Adelheid Wedel · 12.09.2018
Der "Freitag" macht als eine der Ursachen für die Stärke neurechter Kräfte im Osten das Fehlen mindestens einer Generation ostdeutscher Frauen aus. Sie hatten nach der Wende die neuen Bundesländer häufiger verlassen als die Männer.
"Kunst nach Chemnitz" steht über dem Manifest "Der Kunstraum in Zeiten politischer Polarisierung", das im Freitag, Ausgabe Nr. 37, abgedruckt wird. Drei Professoren – Ina Wuttke, Thomas Kilpper und Dieter Lesage – haben es entworfen. Eine der Kernaussagen, die in elf Punkten entwickelt werden, heißt:

"Sobald Kunst Darstellungen produziert, wirkt sie in die Gesellschaft. Insofern ist Kunst immer politisch, was auch immer dargestellt wird... Auch künstlerische Darstellungen, die explizit keine sozialen Fragen stellen, wirken dennoch politisch, weil Kunst von der Gesellschaft betrachtet und reflektiert wird."
Die Autoren machen deutlich: "Ein politischer Raum, in dem Oppositionspolitiker*innen inhaftiert werden, Frauen nicht wählbar sind, die Kunst nur dekorativ sein darf, oder Minderheiten respektlos behandelt werden, hat keinen Anspruch darauf, Demokratie genannt zu werden." In der Kunst sieht das Manifest ein wichtiges Korrektiv, denn "als ein Raum im Raum der Politik kann ein Kunstraum Raum schaffen für die politische Teilhabe von Ausgeschlossenen." Es kann ein Anfang sein, "Ausgeschlossene einzubeziehen, so dass sie eine Stimme bekommen und sich als gesellschaftliches Subjekt konstruieren können." Der vollständige Text des Manifests ist als Gastbeitrag in der jüngsten Ausgabe der Wochenzeitung Freitag nachzulesen.

Exodus junger Ost-Frauen nach 1990

Ebenfalls im Freitag schreibt Konstantin Ulmer eine Rezension zum Buch "Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein", in dem Jana Hensel und Wolfgang Engler Auskunft über ihr Ostdeutsch-Sein geben. Erschienen ist der Band kürzlich im Aufbau Verlag. Hensel, 1976 in Borna geboren, und Engler, Jahrgang 1952, "rollen in ihrem Buch DDR-Geschichte und viel Nachwendezeit auf." Sie benennen "die soziale Ungleichheit als Kernproblem der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie interpretieren die neurechte Welle um Pegida, AfD und Co. als Ergebnis der Nachwendezeit und nicht als Spätfolge der obrigkeitsstaatlichen Erfahrungen von DDR-Bürgern."

Wolfgang Engler, Jana Hensel: Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein
Aufbau Verlag, Berlin 2018
288 Seiten, 20 Euro

Einen anderen, aber ebenso genauen Blick auf den Osten Deutschlands wirft Elsa Koester einige Zeitungsseiten weiter. Auch sie versucht, das Phänomen des hohen Wahlergebnisses für die AfD zu entschlüsseln. "17 Prozent der Frauen, aber 26 Prozent der Männer im Osten wählten AfD", schreibt sie und meint:
"Von Mecklenburg-Vorpommern bis in den Süden Sachsens herrscht ein eklatanter Männerüberschuss, und das seit fast 30 Jahren."
Die Autorin vermutet darin eine Ursache für den dortigen Rechtsruck. Sie hat recherchiert, "zur Wendezeit war das Geschlechterverhältnis noch weitgehend ausgeglichen, doch zwischen 1990 und 95 fand ein wahrhafter Exodus junger Frauen aus dem Osten statt." Dieses Phänomen ist nicht neu, weiß die Autorin, aber sie findet es erstaunlich, "wie unterrepräsentiert es in der Debatte über die Gründe für das Erstarken der Rechten ist."

Helfen als Teil der Traditionspflege

Mit "Es ist gerade erst geschehen" überschreibt die Wochenzeitung Die Zeit einen Beitrag von Daniel Kehlmann. Es ist die Rede, die der Schriftsteller zur Eröffnung des Internationalen Brucknerfestes in Linz hielt. Von den Veranstaltern war er gebeten worden, über das Thema Tradition zu referieren. "Er nahm dies zum Anlass, auch über das Schicksal seines Vaters zu sprechen, der im Dritten Reich in einem Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen gefangen gehalten worden war und es, anders als der Großteil seiner Familie, überlebte."
Kehlmann berichtet von einem Konzert, das er zum Gedenken im KZ Mauthausen hörte. Er erinnert sich: "Tradition heißt eben tatsächlich vor allem das, was die Schauspielerin nach Beethovens Sinfonie ins Mikrofon rief: Niemals vergessen! Nicht vergessen, was passiert ist, das heißt eben nicht nur, an Jahrestagen in Konzentrationslagern schöner Musik zu lauschen. Es heißt auch: Menschen helfen, die Hilfe brauchen, auch wenn sie eine andere Religion haben, eine andere Kultur, andere Sprache, andere Hautfarbe, und zwar im Angedenken an die Vertriebenen und die Toten unseres eigenen Landes vor noch nicht langer Zeit."
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